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Eine kaiserliche Weihnachtstafel

19. Dezember 2025 Von Katharina Bentfeldt

Wilhelminische Tafelkultur im Neuen Palais

Seit Mitte November ist im Apollosaal des Neuen Palais in Potsdam, auch Unteres Konzertzimmer genannt, eine historisch eingedeckte Tafel zu sehen. Sie veranschaulicht exemplarisch die Nutzung des Saales als Speisezimmer sowie die wilhelminische Tafelkultur. 

Die kaiserliche Familie bewohnte das Neue Palais meist zwischen Juni und Ende Dezember. Während der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. diente der Apollosaal als Speisezimmer, in dem bis zu 35 bis 40 Personen gleichzeitig aßen. Hier fanden auch die Weihnachtsfeierlichkeiten statt, bis man aus Platzgründen im Jahr 1902 für die Weihnachtsessen auf die Marmorgalerie auswich. An der Tafel nahmen die kaiserliche Familie sowie die Hofdamen und Adjutanten Platz. Es handelte sich hierbei um eine private und keine offiziell-höfische Tafel, dies zeigt sich auch darin, dass es keine Fotografien der damaligen Weihnachtstafeln gibt.

Die Tafel ist anhand der historischen Menükarte (im Neuen Palais als Faksimile ausgestellt) auf den 24. Dezember 1900 datiert. Die Karte ist mit einer opulenten Kartusche verziert, die zwei Wappen, eine Krone, Engel und Wolken zeigt. Das dargestellte Wappen repräsentiert das Königreich und den Staat Preußen und verweist auf die Erhebung des Herzogtums zum Königreich im Jahr 1701. Der Adler trägt eine geschlossene Königskrone auf dem Haupt und eine geöffnete Herzogskrone um den Hals. Ergänzt wird die Darstellung durch Zepter und Reichsapfel. Die Menükarten lagen in der Regel als Vordruck vor und wurden tagesaktuell mit den entsprechenden Speisefolgen handschriftlich ergänzt. Die Menükarten wurden in dem Maße aufwendiger und prächtiger umso größer, wichtiger und bedeutender der Anlass des Essens war. Die vergleichsweise schlichte Gestaltung der Menükarte ist ein weiterer Hinweis auf die private Natur des Weihnachtsfestes der kaiserlichen Familie. Generell waren die Menükarten in (hoch-)adligen Haushalten oftmals sehr viel zurückhaltender, als die in gutsituierten bürgerlichen Haushalten.

Die Originalkarte stammt aus der Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. In der graphischen Sammlung der SPSG gibt es ebenfalls Menükarten, allerdings keine, die für das Neue Palais auf einen Zeitraum rund um Weihnachten datiert ist. Ausweislich der Menükarte gab es im Dezember des Jahres 1900 im Neuen Palais zunächst eine Kraftbrühe. Darauf folgten „Karpfen blau“, Kalbsrücken mit Artischocken, Wildschweinkopf Cumberland, junge Gänse, Früchte, Salat, Mince Pies (ein süßes Mürbegebäck mit einer Rosinen- und Apfelfüllung), Käsestangen und Nachtisch.

Die Gänge wurden zu dieser Zeit „á la russe“ serviert, die Gerichte kamen fertig angerichtet, direkt aus der Küche an den Platz (wie heute in Restaurants üblich). Diese Servierform geht auf die kulinarischen Veränderungen während der Regierungszeit des russischen Zaren Peter I. zurück, dem nachgesagt wurde, kein ausgekühltes Essen zu mögen. Bekanntheit an den europäischen Höfen erlangte diese Serviermethode durch den russischen Botschafter Alexander Kurakin, der diese Art zu dinieren 1810 in der Nähe von Paris etablierte.

Zuvor war an allen europäischen Höfen die Serviermethode „à la française“ üblich. Der Gast fand hierbei den Tisch bei Eintritt in das Speisezimmer mit Terrinen und Schüsseln voller Gerichte bestückt vor. Anschließend bediente man sich selbst, oder das Personal reichte die Speisen an. Wild-, Fleisch- und Fischgerichte wurden möglichst natürlich in ihrer eigentlichen Tierform präsentiert, danach jedoch wieder vom Tisch genommen, um sie zu tranchieren. Dieses Prozedere wurde bis zu dreimal wiederholt: Nach der ersten „Serie“ wurde abgedeckt und die zweite in gleicher Anzahl wieder eingedeckt. Ein wesentlicher Nachteil dieser Präsentationsform war, dass die Speisen stark auskühlten, die Saucen ihre Konsistenzen veränderten und die Qualität generell litt.

Bei der Serviermethode „á la russe“ wurden die Gänge nacheinander einzeln aufgetischt. Dies machte Menükarten notwendig und schuf gleichzeitig Platz in der Mitte des Tisches. Hier konnten nun Blumengestecke präsentiert werden. Lediglich kalte Dessertspeisen und Obst wurden weiterhin opulent auf dem Tisch in Szene gesetzt. Ausgehend von der Mitte des Tisches wurden sämtliche Elemente der Tischdekoration absolut symmetrisch ausgerichtet.

Die Kunst der Blumengestecke sowie die opulente Präsentation und prächtige Ausschmückung der Tafeln mit Blumen erreichte zum Ende des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Gesellschaftliche Umbrüche, neue Einflüsse und Moden leiteten den Wandel ein. Stilprägend war hier insbesondere der französische Koch Auguste Escoffier, der um 1900 den Richtungswechsel hin zu einer einfacheren Dekoration der Tafeln, als auch der Gestaltung der Menüs gab. Die Blumengestecke wurden flacher, die Servietten wurden nicht mehr aufwendig in unterschiedliche Formen gebrochen, sondern lagen nun schlicht gefaltet neben dem Teller. Diese Entwicklung fand sich, allerdings mit einiger Verzögerung durch das größere Repräsentationsbedürfnis, auch an höfischen Tafeln wieder. Dieser langsame Übergang zeigt sich auch im Blumengesteck auf der Tafel im Neuen Palais.

Zur Kaiserzeit waren weihnachtliche Dekore mit Tannengrün, Stechpalme (Ilex) und Misteln bereits verbreitet. Belegt ist, dass die kaiserliche Tafel im Winter mit zahlreichen unterschiedlichen Pflanzen und Blumen geschmückt war. Diese wurden in den kaiserlichen Gewächshäusern gezogen. Insbesondere grünes Blattwerk, Farne und Ranken waren beliebt. Das Gesteck auf der Tafel umfasst Chrysanthemen und orientiert sich farblich am Tafelservice sowie am persönlichen Geschmack der Kaiserin, die eine Vorliebe für gelbe Blumen hatte.

Das hier gezeigte Tafelservice stammt aus dem Besitz von Kaiser Wilhelm II. Dies belegt das auf der Rückseite des Tellers aufgebrachte Besitzzeichen, das Monogramm „WR“ mit preußischer Krone.
Gefertigt wurde das Service von der Königlichen Porzellan-Manufaktur (KPM). Es handelt sich um das Modell „Neuosier“, eine Schöpfung des Modellmeisters Friedrich Elias Meyer aus der Zeit um 1770. Meyer entwickelte es in Anlehnung an das wenige Jahre zuvor erstmals ausgeformte Modell „Osier“ der Manufaktur Meissen, wobei sich das Modell der KPM durch s-förmige Schwünge der Unterleitungslinien des Korbgeflechts, die sich über die Kante des Flechtwerks hinaus erstrecken unterscheidet. Der Name leitet sich aus dem französischen Wort für Korbweide, „osier“, ab. 

Die Aufglasurmalerei in eisenrotem Camaieu (monochrome Malerei in unterschiedlichen Abtönungen) zeigt im Spiegel den preußischen Adler mit Krone und Zepter, die Initialen „FR“ für „Fridericus Rex“ auf der Brust, eingefasst von einer Rocaillekartusche. Über dem Steigbord und der Fahne sind drei Blütenbouquets arrangiert. Die Fahne schließt mit abstrakten vergoldeten Ranken und einem schmalen Goldrand ab.

Das Service „Neuosier“ war das Standardgeschirr der Hofhaltung Wilhelms II., der alle seine Schlösser einheitlich damit ausstatten ließ. Eine erste Bestellung löste er durch das Oberhofmarschallamt im Jahr 1889 aus. Das Modell erfreute sich bis weit in das späte 19. Jahrhundert einer großen Beliebtheit und gehörte zum regulären Angebot der KPM. Bei dem Service handelt es sich somit nicht um eine Spezialanfertigung für Wilhelm II., es war, ohne den preußischen Adler, frei im Handel erhältlich.
Nach der Abdankung im August 1919 nahm Kaiser Wilhelm II. einen großen Teil seiner Besitztümer mit in das Exil in die Niederlande, darunter auch Porzellan, Besteck und Gläser. Viele dieser Objekte wurden im Laufe der Zeit im Kunsthandel veräußert. Bei den nun auf der Weihnachtstafel im Neuen Palais zu sehenden Teilen des Services handelt es sich um Rückkäufe ehemaliger Sammlungsbestände der preußischen Schlösser.

Das Echtsilberbesteck stammt aus dem Haus Johann Wagner & Sohn und basiert auf Entwürfen des Hofjuweliers Johann George Hossauer (1794 – 1874). Es entspricht dem sogenannten „King’s Pattern“ des 18. Jahrhunderts, das in seiner Grundform ein den Stiel und Griff umziehendes Fadenmuster mit Muschel am violinenförmigen Ende zeigt. Es ist in der hier vorliegenden Ausformung auch als Hohenzollern-Muster bekannt. Zusätzlich ist auf der Vorderseite des Griffs das Monogramm „WR“ mit der preußischen Königskrone eingraviert. Die Griffe der Messer sind, ebenso wie das restliche Besteck, in 12-lotigem oder 14-lotigem Silber, das heißt mit einem Feinsilbergehalt von mindestens 800 – 875, gearbeitet. Die Klingen hingegen bestehen aus Stahl und stammen zum Teil aus der Solinger Messerschmiede Zwilling. Entsprechend der Menüfolge ordnet sich das Besteck von außen nach innen um den Teller.

Die silbernen Leuchter stammen aus königlich-preußischem Besitz und datieren auf den Zeitraum 1838 bis 1841. Der Fuß des Leuchters zeigt das bekrönte Monogramm „FWR“. Die sechs Kerzenleuchter aus Silber zeichnen sich durch einen nahezu quadratischen Fuß mit mehrfach gerippten Ecken aus. Aus der quadratischen Form schwingt der Leuchter konkav in flachen Stufen zu einem Nodus hoch. Darüber liegt ein schmaler, nach oben hin breiter werdender Balusterschaft. Daran anschließend folgt eine hohe Einschnürung mit schmalem Wulst, der in eine vasenartige Tülle mit flacher Tropfschale übergeht. Hergestellt wurden die Leuchter vom Hofjuwelier Humbert und Sohn.

Die Gläser zeigen das Monogramm „WR“ (Wilhelmus Rex) für Wilhelm II., versehen mit der preußischen Königskrone. Sie stammen aus der schlesischen Gräflich Schaffgotsch’schen Josephinenhütte in Schreiberhau. Es handelt sich um das Modell Nr. 1005, ein farbloses, formgeblasenes Kristallglas mit Schwarzlot auf flacher Poliergoldmalerei. Dieses Modell wurde ab 1880 für den Kaiserhof in Berlin hergestellt, aber auch andere europäische Adelshöfe orderten diese Gläser mit ihren personalisierten Monogrammen. Die Gläser zeigen durch ihre einheitliche Färbung ebenfalls einen Wandel in der Tischkultur. 

Entsprechend der Menü- beziehungsweise der daran orientierten Getränkefolge sind die Gläser auf der Tafel angeordnet. Der Tischwein wurde in bauchigen Karaffen angerichtet, dabei galt die Regel, dass pro zwei bis vier Personen eine Karaffe aufgedeckt wurde, wobei die Anzahl bei männlichen Tischgästen höher ausfiel.

Der hier genutzte Holztisch ist nicht historisch. Bei den Stühlen handelt es sich um Anfertigungen nach historischem Vorbild aus den 1980er Jahren, die für die Bestuhlung des Schlosses Charlottenburg angefertigt wurden.

Das Tischtuch ist eine Sonderanfertigung für die hier gezeigte Tafel. Historische Beschreibungen und Regularien für das Eindecken schreiben vor, dass ein Tischtuch bei festlichen Anlässen mindestens über die halbe Tischhöhe hinausreichen sollte, gleichzeitig durfte das Tischtuch aber auch nicht auf der Stuhlkante aufstoßen. Basierend auf historischen Fotografien höfischer Tafeln und dem Kontext einer kaiserlichen Tafel ergibt sich, dass das Tischtuch bodenlang sein muss. Die historischen Quellen beschreiben zudem, dass etwaige Nähte bedingt durch die Webbreiten längsseitig mittig ausgerichtet werden mussten. 

Katharina Bentfeldt ist wissenschaftliche Volontärin in der Abteilung Schlösser und Sammlungen der SPSG und hat die Tafel im Neuen Palais kuratiert.

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