An einem Frühjahrstag klingelt in der Abteilung Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin ein Telefon. Während des Gesprächs über die Erwerbung einiger historischer Bücher erwähnt der Anrufer, ein englischer Antiquar, fast beiläufig, dass er für die Berliner Staatsbibliothek den Ankauf einer bedeutenden und fast vollständigen Büchersammlung aus königlich-schwedischer Provenienz vermitteln könne.
Komplette Bibliotheken des europäischen Hochadels werden so gut wie nie auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten – und so wird man in der Bibliothek hellhörig. Zudem die hier offerierte Sammlung ein ganz besonderer Glücksfall für Berlin wäre: Denn es handelt sich um die Privatbibliothek der Prinzessin Sofia Albertina von Schweden. Diese hochadlige Dame, die letzte Vertreterin des alten schwedischen Geschlechts der Wasa, vereinigte in ihrer Sammlung Bücher, die sie selbst erworben, als Geschenke erhalten oder von ihrer Mutter und Großmutter übernommen hatte.
Preußen Pur
Die Bibliothek steht in Stockholm – und warum sollte sie nicht in Schweden bleiben? Die Antwort auf die Frage ist ganz einfach: Preußischer als diese kann eine Büchersammlung gar nicht sein! Sofia Albertina, Prinzessin von Schweden (1753-1829) war die Tochter der Luise Ulrike von Preußen (1720-1782), Prinzessin in Preußen und spätere Königin von Schweden und damit sowohl Enkelin der Sophie Dorothea von Hannover (1687-1757), Königin in Preußen, als auch Nichte Friedrichs des Großen (1712-1786). Eine Reise von ihrem Standort in der Stockholmer Altstadt in die Mitte Berlins würde diese Sammlung also völlig zu Recht antreten. Was lag näher, als in die schwedische Hauptstadt zu fliegen und vor Ort die Bibliothek zu begutachten?
Ein überwältigender Anblick
Als sich die Tür zu einem kühlen Lagerraum öffnet und die Lampen etwas Helligkeit verstrahlen, sind die beiden Berliner Besucher ganz einfach sprachlos – sie sehen Regale, in denen einige tausend Bücher stehen. Der Zustand der Sammlung, das zeigt schon ein erster Blick, ist nur mit dem Wort exzellent zu beschreiben! Außerdem scheint sie alle Wirren der Zeit relativ verlustfrei in ihrer ehemaligen Geschlossenheit überdauert zu haben. Ein Eindruck, der sich später bestätigen wird. Der zweite Blick gilt den Inhalten der Bücher. Zahlreiche Werke sind vorhanden, die man in einer bzw. gerade dieser Adelsbibliothek erwarten würde, wie z.B. die Werke Friedrichs des Großen, historische Abhandlungen oder Adelskalender – also sozusagen die höfische „Pflichtlektüre“. Hinzu kommen die Bücher, die die adligen Damen gerne gelesen haben: Klassiker der Literatur von Goethe, Schiller und Shakespeare oder auch der Robinson Crusoe, ja sogar der Lederstrumpf findet sich im Regal – aber selbstverständlich alles nur in französischen Übersetzungen. Und dann gibt es da auch noch die sehr persönliche Lektüre für unterhaltsame Mußestunden: Memoiren, bevorzugt galanter Natur, Briefsammlungen oder Modezeitschriften. Der überwiegende Teil auch dieser Bücher ist in französischer Sprache verfasst, Deutsch und Schwedisch findet man generell nur ganz vereinzelt.
Nicht nur Leder – die Bucheinbände und ihr Schmuck
Die Buchhändler der damaligen Zeit haben üblicherweise ihre Bücher in einer sogenannten Interimsbroschur, also einem Umschlag aus festerem Papier oder dünnem Karton, ausgeliefert, weil sie davon ausgingen, dass sich der Käufer die Bücher später ohnehin nach seinem Geschmack einbinden lassen werde. Auch hier ist das so geschehen: Sophie Dorothea und Luise Ulrike haben ihre Bücher einheitlich in braunes Leder binden lassen, Sofia Albertina dagegen bevorzugte offenkundig die Farbe Rot.
Über die Buchbinder, die für die Damen tätig waren, wissen wir (noch) nicht sehr viel. Sicher ist, dass es Meister waren, die ihr Metier perfekt beherrscht haben und also zu Recht den Titel Hofbuchbinder trugen. Namentlich bekannt sind uns bisher lediglich zwei Buchbinder, beide hatten deutsche Wurzeln. Sei es der für Luise Ulrike bindende Christoph Schneidler, der aus Hildesheim stammte, oder der für Sofia Albertina tätige Hans Christoph Richter, der – wie auch sein Kollege Schneidler – das Amt des Obermeisters der Stockholmer Buchbinderinnung innehatte.
Aufgabe der Buchbinder war es auch, die Bände mit dem Eigentumszeichen der Besitzer zu verzieren, denn die Bücher wurden nicht nur gelesen, sie dienten ebenso als Statussymbol und sollten dies schon durch ihr Äußeres dokumentieren. So, wie wir auch heute noch in für uns wichtige Bücher gerne unseren Namen schreiben, war es gerade in Adelsbibliotheken üblich, die Bände gut sichtbar als Eigentum zu kennzeichnen. Dafür verwendete man Supralibros, eine meist vergoldete Prägung des Wappens oder der Initialen des Besitzers auf dem Vorderdeckel. Sofia Albertina fand bei den ererbten Bänden bereits das Supralibros ihrer Großmutter bzw. Mutter vor, weshalb sie für ihren eigenen Besitznachweis andere Lösungen finden musste: Sehr oft ist ihr Supralibros, die Initialen S und A unter einer Krone, deshalb zusätzlich auf dem hinteren Buchdeckel zu sehen. Doch auch auf dem Buchrücken finden sich ihre Initialen.
Quedlinburger Schätze
Eine weitere Option der Besitzanzeige kann ein in das Buch eingeklebtes Exlibris sein. Diese kleine Druckgrafik verrät uns viel über die Besitzerin. Denn Sofia Albertina war nicht nur Prinzessin von Schweden, sondern auch Äbtissin des Stifts Quedlinburg, dessen Geschichte bis in das Jahr 936 zurückreicht. Das Exlibris zeigt, neben den drei schwedischen Kronen, auch die gekreuzten Schwerter als Zeichen der ehemaligen sächsischen Kurwürde, denn Stadt und Stift Quedlinburg gehörten im Verlauf der Jahrhunderte u. a. auch zu Kursachsen. Doch wurden die spitzen Klingen im Wappen des Stifts nach und nach „entschärft“, da sie für ein Damenstift wohl zu kriegerisch wirkten und hatten dann eher das Aussehen von breiten Kredenzmessern.
Anlässlich ihrer Amtseinführung als Äbtissin am 28. September 1787 erhielt sie Huldigungsschriften, die sowohl in bemalte und bestickte Seide eingebunden als auch auf Seide gedruckt sind. Diese nur sehr dünnen Bücher sind selbstverständlich alle Unikate. Auf den Titelblättern wird Sofia Albertina mit ihren Titeln genannt, ebenso der Anlass und die huldigende Personengruppe wie z.B. der Magistrat von Quedlinburg, die Bürgertöchter oder auch die Müller und Gärtner des Stifts. Dann folgt ein Lobgedicht von zwei oder drei Seiten.
Das weitere Schicksal der Bücher
Testamentarisch hat Sofia Albertina, die unverheiratet und kinderlos starb, die Bibliothek ihrer Oberhofmeisterin und Freundin, der Gräfin Lolotte Stenbock vererbt. Aber es gab eine Bedingung: Die Gräfin und ihre Nachkommen im Mannesstamm mussten die Sammlung geschlossen erhalten. Bis in die 1980er Jahre wurde die Auflage erfüllt und die Bücher blieben in dieser Familie. Der letzte Besitzer war stolzer Vater von zwei Töchtern – die Bedingung aus dem Testament der Sofia Albertina konnte nicht mehr erfüllt werden. Die Bibliothek wurde an einen schwedischen Industriellen verkauft, der sie schließlich der Berliner Staatsbibliothek angeboten hat. Als Vermittler fungierte der eingangs erwähnte Anrufer.
Schönheit kostet – Der Ankauf
Eine derart herausragende Sammlung kann auch die Staatsbibliothek zu Berlin nicht „einfach so“ aus dem regulären Etat erwerben. Also musste zunächst ein Partner gefunden werden – doch das war in diesem besonderen Fall nicht schwierig. Schnell hatte sich die Staatsbibliothek mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg darüber geeinigt, dass diese Bücher unbedingt angekauft werden mussten. Doch auch dieser gemeinsame Erwerb wäre nicht ohne zahlreiche Sponsoren möglich gewesen, für deren großzügige Unterstützung an dieser Stelle sehr herzlich gedankt sei: Zuerst zu nennen sind die Kulturstiftung der Länder und die Rudolf-August Oetker-Stiftung für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Denkmalpflege, die den größten Anteil der Kaufsumme aufgebracht haben. Ebenfalls mit bedeutenden Mitteln beteiligten sich die B.H. Breslauer Foundation, die Wüstenrot Stiftung, die Stiftung Preußische Seehandlung und über einhundert Privatpersonen aus dem Mitgliederkreis der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e.V.
Ein erster Blick
Am 4. Mai 2017 wurde diese im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Erwerbung der Öffentlichkeit erstmals im Rahmen einer Pressekonferenz in den Räumen der Staatsbibliothek an der Potsdamer Straße vorgestellt und fand große Aufmerksamkeit. Aufbewahrt werden die Bücher gut klimatisiert und sicher geschützt in den Tresormagazinen der Abteilung Historische Drucke. Nach ihrer Erschließung in den Katalogen der Staatsbibliothek wurden sie zur Benutzung im Rara-Lesesaal im Haus Unter den Linden bereitgestellt.
Forschung im Raralesesaal
Die Katalogisierung der ca. 4.500 Bände begann kurz darauf. Alle Beteiligten waren sich sicher, dass sowohl das einzelne Buch als auch die gesamte Bibliothek das Interesse der Forschung auf sich ziehen werden. Denn zum einen sind die einzelnen Drucke selbst eine Fundgrube, z.B. für die französische Literatur des 18. Jahrhunderts, insbesondere die Dramenforschung. Zum anderen aber auch gerade in ihrer Gesamtheit für Fragen der Gender- und Leseforschung, denn von adligen Frauen sind aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert nur wenige Bibliotheken so komplett erhalten geblieben. Und natürlich kommen auch die Einbandforschung und die Buchwissenschaft auf ihre Kosten. Jetzt und auch in den folgenden Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, werden die Bücher nicht nur Freude bereiten, sondern der Forschung Fragen stellen und auch Antworten geben – in jedem Fall aber großen Nutzen stiften.
* Diese Frage wird von der schwedischen Prinzessin Sofia Albertina, der letzten Wasa, an die Kronprinzessin und spätere Königin von Schweden und Norwegen Desideria (1777-1860), die erste Bernadotte, gestellt. So jedenfalls beschreibt es Annemarie Selinko in ihrem 1951 erschienenen Roman Désirée.
Eine Auswahl der Bücher ist derzeit im Rahmen einer Sonderpräsentation im Schloss Rheinsberg zu besichtigen.
Der Beitrag erschien erstmals im Bibliotheksmagazin 3/2017 der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Für den SPSG-Blog wurde er geringfügig überarbeitet und gekürzt.
Dr. Silke Trojahn ist Leiterin des Referats Bestandsaufbau (Historische Drucke) in der Abteilung Handschriften und Historische Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.
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