2025 jährt sich die Deutsche Einheit zum 35. und die Gründung der SPSG zum 30. Mal. Aus diesem Anlass blicken wir in einer Reihe auf die turbulenten Ereignisse der Wendejahre. Kustos Jörg Wacker begleitete damals den Abbau des Todesstreifens im Park Babelsberg.
Am 11. November 1989 betrat Jörg Wacker Terra incognita. Auf DDR-Karten war West-Berlin nur als helle Fläche gekennzeichnet, also lief er mit einem Falk-Plan von „Groß-Berlin“ in den Händen über die Glienicker Brücke. Die vor Jahrzehnten gedruckte Karte hatte völlig unverhofft innerhalb weniger Stunden wieder Gültigkeit erlangt und führte den 29-jährigen Wissenschaftlichen Mitarbeiter der Gartendirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci auf dem Uferweg am Park Klein-Glienicke vorbei zur Pfaueninsel. Die Freude und das Erstaunen dieses Tages sind Wacker, seit 1995 Kustos für Gartendenkmalpflege der SPSG, auch Jahrzehnte später noch anzumerken. „Auf dem Weg hat man erst gemerkt, dass die Kulturlandschaft auch hinter der Mauer existiert und dass sie gar nicht so anders ist als bei uns auf der Potsdamer Seite.“
Nur einige Wochen später trat ein Offizier der Nationalen Volksarmee ins Büro der Gartendirektion, grüßte und erklärte, er sei ein Verfechter des Mauerbaus gewesen, nun seien die Verhältnisse aber andere und er führe den Auftrag aus, die Grenzsicherungsanlagen zu demontieren. Wacker erhielt die Aufgabe, den Abbau des Todesstreifens im Park Babelsberg zu begleiten und fertigte einen Zustandsplan des Geländes. Wer von hier aus hatte flüchten wollen, auf den warteten Zäune, Wachtürme, Signal- und Hundelaufanlagen, der sogenannte „Stalinrasen“ aus aufgerichteten angespitzten Stahlstäben und das Wasser der Havel. Erst in deren Mitte begann West-Berlin.
„Die Soldaten haben ihre Anlagen damals restlos abgebaut und abtransportiert. Heute würden vielleicht manche sagen, dass man ein Stück der Anlage als Denkmal hätte erhalten sollen. Aber damals waren alle begeistert, dass diese Wunde wieder heilen kann und dass die Parklandschaft wieder zusammenwächst.“ Vorerst war da jedoch nur das nackte Gelände, das sich vom Kleinen Schloss am Tiefen See unterhalb von Schloss Babelsberg bis zur kleinen Brücke am Ende der Glienicker Lake über den Teltowkanal erstreckte. Beim Ausbau der Befestigungen hatten die Grenztruppen für eine bessere Kontrolle den Steilhang am Ufer abgeschoben und eingeebnet sowie die Lennésche Bucht verfüllt. Nun galt es, den früheren Zustand wiederherzustellen. Genau das war schon damals Wackers Aufgabe und ist sie noch heute, nur für andere Parkanlagen: Er wacht über die historische Akkuratesse der Wiederherstellung und den Erhalt der Gartendenkmale.
„Für Babelsberg sind die Jahrzehnte maßgeblich, in denen Wilhelm I. hier lebte und seine Vorstellungen den Park prägten.“ Der Kaiser starb 1888. Wie es im ehemaligen Grenzstreifen ein Jahrhundert zuvor ausgesehen hatte, war gar nicht leicht herauszubekommen. Wacker und seine Kolleg:innen probierten es mit Aufklärungsfotos britischer Piloten, die den Zustand im Zweiten Weltkrieg, und mit Luftbildern sowjetischer Piloten, die das Grenzgebiet vor dem Mauerbau dokumentierten. „Diese waren für die Rekonstruktion der Wegeführung als Ergänzung für die Suchgrabungen sehr hilfreich, aber wie die Neigung des Steilhangs beschaffen war, ließ sich auch stereoskopisch leider nicht auswerten.“ Erst alte Stadtkarten mit Höhenlinien erlaubten eine historisch möglichst genaue Remodellierung des Hangs unterhalb des sogenannten Bowlinggreens mit seinen charakteristischen sanften Hügeln und Böschungen. Den Hauptanteil der Wiederherstellung leisteten eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Fachfirmen und eigenes Gärtnerpersonal unter der Fachbereichsleitung von Karl Eisbein. Wer heute vom Schloss Babelsberg aus durch den Park auf die Havelseen blickt, hat eine sehr ähnliche Aussicht wie einst im 19. Jahrhundert.
Jörg Wacker genießt sie nach wie vor, er gerät schnell ins Schwärmen. „Diese ganz kurz gemähte Rasenfläche, die Sicht über die Havel mit dem Geysir hinüber zur Berliner Vorstadt in Potsdam, nach Sacrow und Glienicke, das ist etwas ganz Besonderes. Nach den Arbeiten hat man ja erst die ausgewogen komponierte Parklandschaft wirklich sehen können.“
Jetzt wachse zusammen, was zusammengehöre, das hat Willy Brandt in jenen Stunden nach der Wende vorausgesagt, als Jörg Wacker über die Glienicker Brücke lief, um sich zum ersten Mal in seinem Leben die Pfaueninsel anzusehen. Gemeint war Deutschland, war Europa. Der Satz gilt aber sicher auch für diese Schlösser- und Parklandschaft, die weite Sichten erlaubt, wo einmal Zäune, Mauern und Wachtürme standen.
Der Beitrag ist zuerst erschienen im SPSG-Magazin SANS,SOUCI. 02.2025
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