Der Denkmalbestand der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg wurde vor Kurzem um ein Gebäudeensemble der frühen Nachkriegsmoderne erweitert: Das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologische Landesmuseum hat die im Park Babelsberg gelegenen, zwischen 1949 und 1950 errichteten Internate der ehemaligen Richterschule der DDR aufgrund ihrer geschichtlichen, baugeschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Bedeutung in die Denkmalliste des Landes Brandenburg aufgenommen.
Die Nachkriegszeit hat im Park Babelsberg deutliche Spuren hinterlassen. Das gilt nicht nur für die ehemals hier vorhandenen Grenzanlagen, die nach der politischen Wende weitestgehend zurückgebaut wurden, sondern auch für zahlreiche bauliche Hinterlassenschaften der Ausbildungs-, Kultur- und Sporteinrichtungen, die Schloss und Park nach 1949 für ihre Zwecke genutzt haben. Eine dieser Einrichtungen war die Zentrale Richterschule der DDR.
Bereits im Jahr 1946 beschloss der Alliierte Kontrollrat im Zuge seiner Entnazifizierungspolitik einen umfassenden Personalaustausch in den öffentlichen Ämtern aller Besatzungszonen, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem Gerichtswesen lag. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde Schloss Babelsberg zum Sitz einer Ausbildungsstätte für das Führungspersonal des zukünftigen Justizapparats bestimmt. Neben dem 1948 bis Mitte 1949 durchgeführten Umbau des Schlosses selbst stand hier die Aufgabe im Raum, Internate zur Unterbringung von rund 400 Studierenden sowie ein auch als Kulturhaus nutzbares Mensagebäude zu schaffen. Erste Planungen sahen als Standort ein Gelände in unmittelbarer Nähe zum Schloss vor, wogegen die damalige Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Protest einlegte.
Für die Projektierung der Neubauten zeichnete das neu gegründete Entwurfsbüro der Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) Entwurf und Bauleitung Land Brandenburg verantwortlich. Leiter des Büros war der Architekt Robert Lenz (1907-1976), der in den 1920er Jahren am Bauhaus in Dessau studiert und anschließend im Büro von Le Corbusier in Paris gearbeitet hatte. In der Nachkriegszeit setzte sich Lenz für eine Reformierung des Schulbaus in Deutschland ein und knüpfte mit der von 1946 bis 1950 nach seinen Entwürfen ausgeführten Zentralschule in Storkow nahtlos an die Gestaltungsprinzipien des Neuen Bauens an.
Zur Klärung der Standortfrage des Babelsberger Bauprojekts wurde schließlich die Architekturkoryphäe Hans Scharoun (1893-1972) in seiner Funktion als Leiter des Instituts für Bauwesen (IfB) der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin hinzugezogen. Im Oktober 1949 nahm er gemeinsam mit Robert Lenz eine Besichtigung des Baugeländes vor. In seiner anschließenden Stellungnahme wies er nicht nur darauf hin, dass bei einer Ausführung des Projekts an dieser Stelle „ein wesentlicher und reizvoller Teil des Parkes verunstaltet würde“, er bemängelte auch die baulichen und gestalterischen Schwierigkeiten, die die Ausrichtung, die Hanglage und die geringe Breite des Grundstücks mit sich bringen würden. Scharoun schlug stattdessen einen anderen Bauplatz außerhalb des Parks vor. Obwohl auch Robert Lenz von der besseren Eignung des alternativen Grundstücks überzeugt war, wurde letzten Endes an einem Standort innerhalb der Parkgrenzen festgehalten, wobei der endgültige Bauplatz nun nicht mehr unmittelbar neben dem Schloss, sondern in einem Bereich nahe der südöstlichen Parkgrenze lag.
Der Bau der drei heute noch erhaltenen Internatsgebäude wurde im Dezember 1949 begonnen und bereits im Mai 1950 abgeschlossen. 1951 folgten weitere Neubauten, darunter auch ein viertes, etwas abseits von den ersten Internatsbauten angeordnetes Wohnheim. Für die Realisierung des Campus hatten Abgrabungen der an dieser Stelle vorhandenen Höhenzüge vorgenommen werden müssen, und auch ein Teil der sogenannten Schanze, einer künstlich angelegten Befestigungsanlage aus der Kaiserzeit, musste dafür weichen.
Der „Architekturführer DDR – Bezirk Potsdam“ von 1981 nennt Robert Lenz zusammen mit der Innenarchitektin Liv Falkenberg (1901-2006) als Urheber der Internatsgebäude. Ehemalige Mitarbeitende des Entwurfsbüros brachten jedoch einen anderen Namen ins Spiel: So soll der eigentliche Entwurfsbearbeiter dieser Bauten der ebenfalls in dem Projektierungsbetrieb arbeitende Architekt Henrik Fischer (1911-1995) gewesen sein. Liv Falkenberg hat sehr wahrscheinlich an der heute nicht mehr erhaltenen Möblierung der Wohnheime mitgewirkt. Als weiterer Akteur, der möglicherweise Einfluss auf die Gestaltung der Gebäude hatte, wurde der Architekt Robert Tepez (1912-ca. 1985) genannt. Tepez war im Jahr 1949 an Scharouns Institut für Bauwesen tätig, wo er im Rahmen eines Forschungsprojekts einen Entwurf für ein Laubenganghaus konzipierte, der vermutlich die Idee zur Verwendung dieses Bautypus für das Babelsberger Projekt lieferte.
Da die bauzeitlichen Entwurfsunterlagen der Internatsgebäude verschollen sind, ist es kaum möglich, den Anteil der Beteiligten am realisierten Entwurf konkret zu bestimmen. Eines lässt sich jedoch zweifelsfrei feststellen: Sämtliche der genannten Beteiligten standen der Architekturbewegung des Neuen Bauens nahe, was sich an den ausgeführten Bauten deutlich ablesen lässt.
Folgt man der in der Nachkriegszeit angelegten, südlich des Pförtnerhauses I von der Allee nach Glienicke abzweigenden Zufahrtsstraße in Richtung Schloss, eröffnet sich zur Linken der Blick auf die in scheinbar lockerer, fächerförmiger Anordnung auf der Anhöhe situierten Studierendenwohnheime. Ursprünglich umschlossen die Internatsgebäude zusammen mit der heute nicht mehr erhaltenen, ihnen ehemals gegenüberliegenden Mensa eine campusähnliche Raumsituation. Bei näherer Betrachtung offenbart sich die gezielte Gestaltungsabsicht hinter ihrer Anordnung: Durch ihre versetzte Staffelung und die gespiegelte Ausbildung des mittleren Wohnblocks bieten sich von verschiedenen Standpunkten aus spannungsvolle Sichtbeziehungen auf die Gebäude.
Bei den dreigeschossigen, verputzten Backsteinbauten handelt es sich um langgezogene, klar umrissene Baukörper mit einer ebenso klaren Lesbarkeit ihrer inneren Raumstrukturen in der Fassadengliederung. So waren die Obergeschosse der Internatsgebäude in einzelne Wohneinheiten mit jeweils zwei Mehrbett-Schlafräumen, Küche, Bad und einem gemeinsamen Wohn- und Studierraum unterteilt. Jede Raumfunktion weist einen eigenen Fenstertyp auf: Der von beiden Seiten belichtete, großzügige Wohn- und Studierraum erhielt große, dreiteilige Fenster, die Schlafräume hochrechteckige Fenster und Küche und Sanitärräume wurden mit schmalen Oberlichtfenstern versehen.
Genauso lebendig und vielgestaltig wie die Anordnung der Bauten untereinander erscheint auch die Fassadengestaltung in ihren Details. Die flächig-geschlossen wirkenden Ostfassaden mit ihren differenzierten Fensterformaten stehen in einem reizvollen Kontrast zu den offenen Laubengängen der gegenüberliegenden Westfassaden. Deren horizontale Betonung wiederum wird durch die Vertikalität der seitlichen Treppenhaustürme kontrastiert. Von anderen, zeitgleich entstanden Gebäuden des Bautypus Laubenganghaus unterscheiden sich die Babelsberger Bauten dadurch, dass die Brüstungen ihrer Laubengänge nicht massiv gemauert, sondern als Metallgeländer mit hölzernem Handlauf ausgeführt sind. Trotz der nachträglich hinzugefügten Verglasung wirken sie nicht nur filigran und transparent, sondern bringen aufgrund ihrer leichten Neigung auch eine dynamische Komponente in das Gestaltungskonzept. Weitere charakteristische Architekturdetails der Nachkriegsmoderne sind die flach geneigten Pultdächer mit weitem Dachüberstand sowie die mit Glasbausteinen großzügig belichteten Treppenhäuser mit Kunststeinböden und geschwungenen Treppengeländern.
Doch nicht nur in baukünstlerischer Hinsicht zeichnen sich die Wohnheime aus. Sie dokumentieren auch die gesellschaftspolitischen Entwicklungen ihrer Entstehungszeit. In der jungen DDR nahm die Suche nach architektonischen Ausdrucksformen des politischen Neubeginns einen hohen Stellenwert ein. Die Internatsbauten der Richterschule, in der die Führungselite des neuen sozialistischen Staates ausgebildet werden sollte, hatten sich demzufolge vom Kasernentypus der Zeit des Nationalsozialismus abzugrenzen. Stattdessen wurde mit dem Bautypus des Laubenganghauses auf eine Gestaltungsform zurückgegriffen, für die es im Wohnungsbau der 1920er Jahre prägnante Vorbilder gab. Der bereits in der Vorkriegszeit geschätzte soziale Aspekt des Laubengangs als Ort der Begegnung der Hausbewohner fügte sich bestens in die Vorstellungen des sozialistischen Staates für das gemeinschaftliche Wohnen der Studierenden ein. Darüber hinaus hatte der Bautypus mit seiner raumsparenden Erschließung den Vorteil, die Querlüftung der Innenräume zu ermöglichen und ihre Belichtung zu maximieren. Von den in der DDR realisierten Bauten dieses Typus sind an erster Stelle die genau zeitgleich mit dem Babelsberger Internatsprojekt nach Entwürfen von Hans Scharoun, Ludmilla Herzenstein, Karl Brockschmidt und Helmut Riedel entstandenen Laubenganghäuser an der Karl-Marx-Allee in Berlin zu nennen.
War das Anknüpfen an die Architektur des Neuen Bauens im Planungszeitraum der Babelsberger Internatsgebäude noch möglich und sogar erwünscht, änderte sich die baupolitische Situation während ihrer Ausführung grundlegend, als sich im Bauwesen der DDR eine intensive Fachdebatte entspann. Im Rahmen dieser sogenannten Formalismusdebatte wurde von staatlicher Seite propagiert, dass die unter der Regierung Josef Stalins etablierte Architektur der Sowjetunion, der sozialistische Klassizismus, als Leitbild für die weitere architektonische Entwicklung anzusehen sei. Die Übernahme dieser Formensprache, unter dem Schlagwort „Nationale Traditionen“ um Elemente der jeweiligen regionalen historischen Bauformen angereichert, sollte eine klare Abgrenzung zur architektonischen Entwicklung der BRD und den dort weiterhin als wegweisend geltenden Gestaltungsprinzipien des Bauhauses bewirken.
Auch der Bautypus des Laubenganghauses fiel dieser Generalkritik zum Opfer, nachdem Scharouns Laubenganghäuser an der Karl-Marx-Allee von den damaligen Architekturfunktionären als „formalistisch“ geschmäht worden waren. Als die Internatsbauten in Babelsberg 1951 um ein viertes Wohnheim erweitert werden sollten, konnten die Mitarbeitenden des Planungskollektivs die Fortführung der ursprünglichen Entwurfsidee der Laubenganghäuser nur deshalb durchsetzen, da es aufgrund von „pädagogischen Rücksichten nicht möglich“ war, die Studierenden in unterschiedlich gestalteten Gebäuden unterzubringen.
Die Formalismusdebatte und die zunehmenden Restriktionen von staatlicher Seite führten zur Abwanderung zahlreicher Akteure des Bauwesens der DDR. So endete beispielsweise Ende 1950 die Leitungsfunktion Hans Scharouns am Institut für Bauwesen, der von nun an seinen Tätigkeitsschwerpunkt nach West-Berlin verlagerte. Henrik Fischer ging nach München und Robert Lenz war ab Mitte der 1950er Jahre vorrangig als Produktdesigner tätig, wo er seine Vorstellungen von moderner Gestaltung freier umsetzen konnte als im Bereich der Architektur.
Während der größte Teil des im Verlauf der Nachkriegszeit um verschiedene Funktionsbauten ergänzte Babelsberger Campus in den letzten Jahrzehnten zurückgebaut wurde – darunter auch im Jahr 2014 das vierte, nachträglich hinzugefügte Laubenganghaus – blieben die Internatsgebäude 1 bis 3 erhalten. Seit ihrer Errichtung werden die Bauten durchgehend zur Unterbringung von Studierenden genutzt. Nachdem sie 1993 in die Verwaltung des Studierendenwerks der Universität Potsdam übergegangen waren, erfolgte eine umfangreiche Sanierung, bei der das äußere Erscheinungsbild der Häuser weitestgehend unverändert erhalten blieb. Im Inneren wurden Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen und durch Aufteilung der ursprünglichen Wohn- und Studierzimmer jeweils zwei zusätzliche Schlafzimmer in den Wohneinheiten geschaffen. Die Anlage ist auch aktuell noch ein begehrter Wohnort für Studierende der Universität Potsdam.
Das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege kam bei der Bewertung des Gebäudeensembles zu dem Schluss, dass es sich bei den Laubenganghäusern im Park Babelsberg um ein besonderes Geschichtszeugnis handelt. Nicht nur waren die Internatsbauten der Richterschule ein äußerst prestigeträchtiges Bauvorhaben von großer politischer Relevanz. Sie dokumentieren darüber hinaus aufgrund ihre baukünstlerischen Qualitäten sowie des Seltenheitswerts ihres Bautypus auch auf einzigartige Weise die kurze Phase der frühen Nachkriegsmoderne der DDR, als die zum Teil noch am Bauhaus selbst geschulten Protagonisten des damaligen Architekturgeschehens weitestgehend unbehelligt von der Formalismusdebatte und der staatlichen Doktrin der Nationalen Traditionen arbeiten und wirken konnten.
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