Ulrike Schmiegelt-Rietig und Alexandra Nina Engel
Das menschenverachtende Regime des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg forderten nicht nur viele Millionen Menschenleben in Europa und der Welt. Insbesondere in Europa wurden auch Kulturgüter Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft zuerst in Deutschland, dann im gesamten im Krieg besetzten Europa. Bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland begann die Unterdrückung und Verfolgung der künstlerischen Avantgarden. Unmittelbar mit der Machtübernahme setzten die ersten Maßnahmen zur Verfolgung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ein, die innerhalb weniger Jahre in den Genozid an den europäischen Juden mündeten. Zu diesem Genozid gehörte auch die systematische Beraubung der Verfolgten, mit dem Ziel der Zerstörung ihrer Kultur in allen Ausformungen ebenso wie der Bereicherung des Staates an ihrem Eigentum. Der Raub umfasste selbstverständlich neben allem anderen auch Kunstwerke, Antiquitäten, Schmuck und andere Wertgegenstände. All dies gelangte entweder direkt oder auf dem Umweg über den Kunsthandel auch in die Museen. Erst in den letzten 25 Jahren begannen diese zunächst zögerlich, seit gut zehn Jahren intensiv sich mit diesem Thema und dem belasteten Erbe auseinanderzusetzen und die Sammlungen systematisch nach Objekten aus vormals jüdischem Eigentum zu durchsuchen und diese den Erbinnen und Erben der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zurückzugeben beziehungsweise mit diesen eine finanzielle Einigung zu erreichen, um die Objekte in den Sammlungen behalten zu können. Auch die SPSG betreibt seit 2005 kontinuierlich Provenienzforschung, untersucht die eigenen Bestände auf Fremdbesitz und konnte seitdem mehr als 60 Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückführen.
Der Krieg hinterließ auch andere Spuren in den Museen: Er hatte teilweise erhebliche Verluste in den Sammlungen zur Folge, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Möglichstes taten, die ihnen anvertrauten Kunstwerke und Kulturgüter vor den Einwirkungen des Krieges zu schützen.
Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, als neben Artilleriefeuer Luftangriffe die schlimmsten Schäden an Kulturdenkmälern und Sammlungen anrichteten, begannen Museumsleute und Denkmalpfleger in Deutschland schon um die Mitte der 1930er Jahre damit zu überlegen, wie sie insbesondere die Sammlungen im Falle eines weiteren Krieges schützen könnten. Sie erarbeiteten Prioritätenlisten und suchten nach Orten, an denen die wichtigsten Kunstwerke und Sammlungen sicher untergebracht werden könnten. Diese Planungen gingen immer von Luftangriffen als größter denkbarer Gefahr aus. Dass Deutschland eines Tages selbst zum Schauplatz eines Bodenkrieges werden könnte, war zu dieser Zeit außerhalb des Vorstellbaren.
Als der Krieg 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen tatsächlich begann, herrschte noch die Überzeugung, dass sich die östlichen Teile des Reiches einschließlich Berlins außerhalb der Reichweite britischer und französischer Bombenflugzeuge befänden.
Unmittelbar nach Kriegsbeginn sollte vor allem die Normalität für die Zivilbevölkerung aufrechterhalten werden, so dass die Schlösser geöffnet und die Kunstwerke an Ort und Stelle blieben. Da Berlin aber bereits im Winter 1940/41 Ziel von Bombenangriffen wurde, begann in der Schlösserverwaltung die ernsthafte Suche nach sicheren Orten. Man fand sie in der Nähe, lagerte Kunstwerke in den Kellern des Berliner Schlosses und in der Gruft des Berliner Doms und im nahegelegenen Babelsberg und im Neuen Palais in Potsdam ein. Nach und nach folgten Auslagerungen an weiter entfernte Orte; Kunstwerke wurden beispielsweise nach Schloss Paretz ins Kloster Lehnin, nach Schloss Rheinsberg und nach Schloss Molsdorf bei Erfurt gebracht, eine Auswahl besonders wichtiger Gemälde schaffte man schließlich nach Leinefelde im Südharz, wo sie im stillgelegten Kali-Bergwerk Bernterode untergebracht wurden.
All diese Orte galten als bombensicher. Spätestens zum Kriegsende hin zeigte sich aber ein großer Nachteil der entfernten Auslagerungen, denn nun waren die ausgelagerten Sammlungen weitestgehend schutzlos dem Kriegsgeschehen überlassen, wurden beschädigt oder vernichtet, fielen plündernden Soldaten in die Hände oder wurden von Bewohner:innen der umliegenden Ortschaften aus den Depots entnommen. Schließlich beschlagnahmten die sowjetischen sogenannten Trophäenbrigaden eine Vielzahl der Werke, die anschließend noch vorhanden waren, und ließen sie in die Sowjetunion abtransportieren. Insgesamt gingen allein mehr als 3.500 Staffelei- und Wandgemälde aus den Sammlungen der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in den Wirren der letzten Kriegsmonate verloren. Die Verluste bei Kunstwerken anderer Kunstgattungen wie Skulptur/Plastik, Werken der graphischen Sammlungen, Porzellan/Keramik, Textilien, Möbel oder andere Werke der angewandten Künste lassen sich im Moment nicht annähernd beziffern, da sie weitaus schlechter dokumentiert sind. Im Folgenden wird es deshalb nur noch um die Verluste der Gemäldesammlungen gehen.
Das Geschehen in Schloss Rheinsberg zeigt beispielhaft das Schicksal der Kunstwerke am Auslagerungsort: Ausgewählt wurde das Schloss wegen seiner Lage rund siebzig Kilometer nördlich von Berlin, vermeintlich weit weg vom Kriegsgeschehen. Rund 400 Gemälde aus Schloss Sanssouci, aus der Bildergalerie von Sanssouci, aus dem Neuen Palais und aus Schloss Königsberg sowie eine große (nicht näher bezifferte) Anzahl wertvollster Möbel aus dem Neuen Palais und aus Schloss Königsberg ließ die Schlösserverwaltung im Laufe des Sommers 1942 dort unterbringen. Nach Ende des Krieges, im Herbst 1945 war den Berichten nach kaum noch etwas davon übriggeblieben, ohne dass konkrete Zahlen vorlägen.
80 Jahre Kriegsverluste
Ein Großteil der Kunstwerke, die 1942 in Schloss Rheinsberg zum Schutz vor Kriegsauswirkungen ausgelagert worden waren, wurde 1945 in die Sowjetunion abtransportiert. Obwohl 1958 ein kleiner Teil hiervon – ca. 500 Gemälde – von Seiten der sowjetischen Regierung zurückgegeben wurden, befinden sich noch heute zahlreiche Gemälde in Russland, u.a. in der Staatlichen Eremitage, wie Rubens „Mars nimmt Abschied von Venus“, dem Moskauer Puschkin-Museum und in Privatbesitz, wie beispielsweise Rubens „Tarquinius und Lukretia“.
Dies wurde 1999 auch durch das Inkrafttreten des Duma-Gesetzes befördert, in dem der russische Staat die sogenannte „Trophäenkunst“, d.h. kriegsbedingt verlagerte Kunstgegenstände aus Deutschland, zu seinem Eigentum erklärte.
Andere Gemälde kamen unter ungeklärten Umständen in den Besitz der Bevölkerung Rheinsbergs und umliegender Orte. Die beiden 2004 und 2011 erschienenen Verlustkataloge der Gemäldesammlung zeigen eindringlich, welche großen Lücken diese Verluste in den Sammlungen hinterließen (Zerstört, entführt, verschollen. Die Verluste der preußischen Schlösser im Zweiten Weltkrieg. Gemälde I und Zerstört, entführt, verschollen. Die Verluste der preußischen Schlösser im Zweiten Weltkrieg. Gemälde II).
Seit dem Erscheinen des ersten Verlustkataloges und der Onlinestellung der Gemäldeverluste bei www.lostart.de im Jahr 2004 bzw. 2001/2002 war es jedoch auch möglich, insgesamt mehr als 40 Gemälde über den internationalen Kunsthandel, von Privat und aus Museen in die Bestände der SPSG zurückzuführen. Die Sammlungen und Schlösser der SPSG konnten damit wieder um bedeutende Werke bereichert werden, die nun erneut in ihrem historischen Kontext gezeigt werden können. Nach ihrer Restaurierung sind sie inzwischen meist wieder für die Besucher und Besucherinnen der Bildergalerie von Sanssouci, des Neuen Palais, von Schloss Caputh, Schloss Charlottenburg, des Neuen Palais, und vielen anderen Schlössern der SPSG zugänglich. So ermöglichte beispielsweise 2010 die Rückgabe von zehn Gemälden eine grundlegende Neuhängung im Kabinett der Bildergalerie von Sanssouci.
Sie waren 1945 über die Kriegsauslagerung im Schloss Rheinsberg in privater deutscher Hand gelandet. Zuletzt konnte 2023 die „Venus im Pelz“ eines Rubens-Nachfolgers nach 81 Jahren erneut in die Ausstattung der Bildergalerie von Sanssouci integriert werden. Sie war nach ihrer Kriegsauslagerung in den Besitz eines Berliner Malers gekommen und wurde später weiterverkauft.
Auch das Neue Palais erhielt in den letzten Jahren drei bedeutende Gemälde der originalen Ausstattung zurück, die seit 1945 zu den Kriegsverlusten gehört hatten. So bleibt auch für die kommenden Jahre die Hoffnung, dass weitere Kriegsverlust-Bilder ihren Weg in die Sammlungen der SPSG zurückfinden mögen.
Denn neben der Vielzahl von Gemälden, die heute in Russland verortet werden können, sind zahlreiche Bilder seit dem Kriegsende 1945 weiterhin verschollen, ohne dass wir heute mit Gewissheit sagen können, ob sie nach Russland abtransportiert wurden oder in Deutschland verblieben sind. Unter anderem betrifft dies Gemälde aus der Bildergalerie von Sanssouci und dem Neuen Palais, die 1942 ins Schloss Rheinsberg ausgelagert worden waren. In beiden Potsdamer Schlössern werden sie als bedeutende Zeugnisse der Sammlungsleidenschaft König Friedrichs II. (Friedrich der Große, 1712-1786) schmerzlich vermisst.
Der 80. Jahrestag des Kriegsendes soll zum Anlass genommen werden, beispielhaft für die mehr als 2.000 Staffeleigemälde, die seit 1945 zu den Kriegsverlusten der SPSG zählen, an folgende Verlust-Gemälde zu erinnern:
Der Beitrag wurde gemeinsam verfasst von Dr. Ulrike Schmiegelt-Rietig und Dr. Alexandra Nina Engel.
Dr. Ulrike Schmiegelt-Rietig ist Provenienzforscherin der SPSG, Dr. Alexandra Nina Engel ist Kustodin für die Gemälde der deutschen und niederländischen Schulen der SPSG.
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