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Neue Blicke auf Vertrautes wagen

07. Juli 2023 Von Ortrun Egelkraut

Die Ausstellung Schlösser. Preußen. Kolonial. im Schloss Charlottenburg beleuchtet die Spuren des Kolonialismus in den Schlössern und Gärten und thematisiert seine Auswirkungen bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen die Lebenswege Schwarzer Menschen am preußischen Hof und das Sammeln und Deuten außereuropäischer Kunstwerke. Zeitgenössische künstlerische Interventionen in den Ausstellungsräumen setzen kritische Kontrapunkte.
 

Auf vielen Gemälden sind sie zu sehen: Schwarze Menschen, oft sind es Kinder. Sie tragen Fantasiekostüme oder elegante Uniformen, sind dienendes Beiwerk des höfischen Lebens oder symbolisieren auf Porträts von Adligen deren Macht und Besitz. Ihre eigene Identität blieb bisher unerforscht. Tatsächlich sind diese Darstellungen verknüpft mit der Kolonialgeschichte Brandenburg-Preußens, die 1682 unter Kurfürst (Churfürst) Friedrich Wilhelm mit Gründung der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie und der Beteiligung am transatlantischen Versklavungshandel begann und sich unter den folgenden preußischen Herrschern je nach Machtinteressen in unterschiedlicher Intensität und Brutalität bis zum Ende der Monarchie fortsetzte.
 

Die ersten Schwarzen Menschen kamen zusammen mit heiß begehrten, Reichtum versprechenden Kolonialwaren nach Brandenburg-Preußen: an den Hof verschleppt, als „Geschenk“ afrikanischer Herrscher oder aus der Sklaverei „freigekauft“, auf jeden Fall ihrer Identität beraubt. Fern ihrer Herkunft und Kultur wurden sie christlich erzogen, getauft und hießen dann Friedrich Wilhelm, Friedrich Ludwig oder Carl Friedrich Albrecht. Oft übernahmen Mitglieder der königlichen Familien Patenschaften im „guten Glauben“, die Kinder durch die Bekehrung vor dem Heidentum gerettet zu haben – und zur Rechtfertigung für den Erwerb von Menschen. Mit christlicher Fürsorge hielten sie ihre Schützlinge in Abhängigkeit und bestimmten deren berufliche und persönliche Lebenswege. Wer etwa heiraten wollte, musste um Erlaubnis bitten. Höfische Aufzeichnungen berichten von Strafen, Unterdrückung und Klassenunterschieden. Kirchenbücher, Tauf- und Sterberegister nennen Daten und Namen. Aus den wenigen heute noch vorhandenen Informationen lassen sich Bruchstücke einzelner Biografien rekonstruieren. Die Lücken, die dabei bleiben, laden zum Nachdenken über den Alltag der aus Afrika stammenden Menschen am brandenburgisch-preußischen Hof ein. Darauf lenkt der erste Teil der Ausstellung den Fokus.

Einen weiteren Schwerpunkt der Sonderausstellung bilden die kurfürstlich-königlichen Sammlungen, die in die Obhut der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) übergegangen sind.
 

Besucher:innen aus aller Welt staunen bei Schlossrundgängen über Prunk und Pracht in den Festsälen und Gemächern, bewundern die kostbare Ausstattung mit Mobiliar und Kunstwerken im Stil wechselnder Epochen, nach dem Geschmack der jeweiligen Bewohner:innen. Und fragen sich vielleicht: Woher kommt dieser ganze Reichtum? Die Schlösser und Gärten repräsentieren ein jahrhundertealtes Kulturerbe und sind zugleich Abbild der brandenburgischen, preußischen und deutschen Geschichte. Teile dieser Geschichte, die von Ausbeutung und Unterdrückung geprägt waren, wurden bisher wenig beachtet. Mit der Sonderausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial.“ setzt sich die Schlösserstiftung erstmals mit ihrem kolonialen Erbe auseinander und wagt neue Blicke auf Vertrautes.

Mit der Möglichkeit, die Weltmeere zu befahren, wurde auch mit aller Welt gehandelt und aus aller Welt gesammelt. Über koloniale Strukturen wie die Handelsexpeditionen der europäischen Großmächte fanden Naturalia und Artifcialia, Natur und Kunstobjekte, aus Asien, Afrika und Südamerika ihren Weg in die Kunstkammern Europas: „Schaut her, die Welt in meinem Besitz“. Die außereuropäischen Objekte in den Kunstkammern waren sowohl eine Motivation als auch eine Folge kolonialer Handlungen. Nicht zuletzt dienten Naturalia wie Kaurimuscheln und rote Koralle als Zahlungsmittel im Versklavungshandel. In der heutigen Debatte um den Kolonialismus am brandenburgisch-preußischen Hof war chinesisches Porzellan lange Zeit kein Thema, mit der Begründung, dass es sich um Exportware handelte, an der Chinesen gut verdienten. Aber genau wie heute spielen auch die Handelswege eine Rolle. Um das begehrte chinesischen Porzellan gewinnbringend nach Europa zu transportieren, setzte die niederländische Handelskompanie auf die Gleichzeitigkeit von Sklavenhandel und Porzellanhandel. In der Ausstellung wird ein Porzellan-Deckeltopf von 1660 gezeigt, produziert in einer Zeit, in der die Niederländer nachweislich über 25.000 Menschen aus dem Golf von Bengalen verschleppten. Diese neue Betrachtung zeigt den Anspruch der Schlösserstiftung, neue Fragen zu stellen.
 

Die Ausstellung versteht sich als ein erstes Ergebnis eines Prozesses in der Auseinandersetzung mit den Sammlungen der Schlösser aus neuer Perspektive. Die Geschichte ist noch lange nicht erzählt, die Reise hat gerade erst begonnen. Ergänzend zur Ausstellung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg machen in den Paraderäumen im Alten Schloss Informationstafeln auf die bisher nicht erzählten kolonialen Geschichten aufmerksam. Hinweise finden sich auf Schwarze Menschen am Hof, auf europäische Umdeutungen und Verfremdungen chinesischer Kunst, aber auch auf exotisierende und rassistische Darstellungen in Kunstwerken, die das eurozentrische Weltbild ihrer Zeit erkennen lassen.

Beide Ausstellungsteile gehören zusammen und können nacheinander – in beliebiger Reihenfolge – mit demselben Ticket besichtigt werden. Spuren der Kolonialgeschichte Brandenburg-Preußens – hervorgehoben durch Informationstafeln – sind auch in anderen Schlössern der SPSG zu finden.
 

Schlösser. Preußen. Kolonial.
Biografien und Sammlungen im Fokus
Sonderausstellung
4. Juli – 31. Oktober 2023
Schloss Charlottenburg – Neuer Flügel, Spandauer Damm 10-22, 14059 Berlin
www.spsg.de/kolonial

 

 

 

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