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„Uns hat geeint, dass wir nicht wegwollten“

01. August 2025 Von Michael Wolf

2025 jährt sich die Deutsche Einheit zum 35. und die Gründung der SPSG zum 30. Mal. Aus diesem Anlass blicken wir in einer Reihe auf die turbulenten Ereignisse der Wendejahre. Rotraut Kautz rettete damals das Belvedere auf dem Potsdamer Pfingstberg vor dem Verfall.

An einem Samstag im Frühjahr 1989 muss Rotraut Kautz dringend an die frische Luft. Die Potsdamer Lehrerin ist sauer. Pflichtgemäß absolviert sie gerade ein Parteilehrjahr und lässt sich im Sinne des Marxismus-Leninismus schulen, sie selbst nennt es „Gelaber“. Kautz hat genug von den Parteidoktrinen. „Ich gehe da nicht hin“, sagt sie auf dem Weg hinauf auf den Pfingstberg zu ihrem Mann und meint die anstehende Kommunalwahl. Die Stimme zu verweigern war in der DDR ein Zeichen des Protests – und riskant. Kautz gilt ohnehin schon als politisch nicht zuverlässig, sie wurde deshalb bereits versetzt. Ihr Mann versucht sie umzustimmen. „Überleg dir das nochmal. Wir haben schon genug Probleme.“ Doch auf einmal verstummen die beiden. Inmitten von Büschen taucht vor ihnen eine Gruppe junger Leute mit Spaten und Hacken auf. „Was machen die denn da?“, fragte sich Rotraut Kautz.
Ja, was machen sie? Sie graben einen Schlosspark aus. Schon seit zwei Jahren trifft sich damals an jedem zweiten Samstag die Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg, um die völlig verwilderte Lennésche Parkanlage um das Belvedere von Gestrüpp und Ranken zu befreien. Kurz bevor die DDR untergeht, was damals selbstredend noch niemand ahnt, wühlen sie in der Erde, um ein Stück dieses Landes zu gestalten und zu verschönern.

Die Gruppe, zu der Rotraut Kautz in Kürze selbst hinzustoßen wird, besteht aus DDR-Bürgerinnen und -Bürgern, die bei sich zuhause etwas verändern wollen. „Uns hat geeint, dass wir nicht wegwollten“, erinnert sich Kautz 36 Jahre nach diesem Samstag. Sie steht auf der Mauer über der Eingangshalle und blickt über das Dach des Pomonatempels in Richtung Innenstadt. Längst ist dieser Ort zu einem wichtigen Teil ihrer Lebensgeschichte geworden.
Schon bald gehört sie fest zu dieser Gemeinschaft junger Idealisten. Eine Gemeinschaft mit der obersten Regel: „Jeder erzählt jedem alles.“ Dieses Gebot zur Offenheit war eine Sicherheitsmaßnahme, denn die Behörden hatten die Gruppe in ständiger Beobachtung. „Wenn jemand von der Stasi angesprochen worden war, dann hat er das direkt den anderen erzählt. So haben wir uns geschützt. Es gab keine Geheimnisse.“

Am Ende ließ sich die Arbeitsgemeinschaft aber nicht nur nicht einschüchtern, sie überlebte auch den Staat, der sie zu gängeln versuchte. Nach der Wende wird aus der Arbeitsgemeinschaft der Förderverein Pfingstberg in Potsdam e.V. und die Geschichte nimmt erst richtig Fahrt auf. Der Verein versteht es, Spendengelder einzuwerben. Sei es ganz bescheiden mit Kuchen oder kulturellen Veranstaltungen, sei es, indem er finanzstarke Mäzene überzeugt.
Rotraut Kautz deutet zum Westturm. Eines regnerischen Tages, Anfang der 1990er-Jahre, stand plötzlich der Mäzen Hermann Reemtsma vor ihr und fragte, ob man da denn mal hoch könne. „Also sind wir das Baugerüst hochgeklettert. Oben stand er dann mit seinen blank geputzten Schuhen zentimetertief im Staub und wollte von mir wissen, wie das denn hier weitergehen solle. Und da habe ich tief Luft geholt und ihm von unserem Traum erzählt.“ Bis zur Bundesgartenschau im Jahr 2001 wollen sie die Türme saniert haben. Dank Großspenden von Reemtsma und dem Versandhausgründer Werner Otto kann der Traum Wirklichkeit werden. 

Dass die Staatssicherheit sich so sehr für die fleißigen jungen Leute interessierte, liegt am Standort des Schlosses. Von den Türmen aus hatte man einen guten Blick auf die Grenzanlagen und das sowjetische Militärstädtchen, in dem auch der KGB stationiert war. Die DDR hat die Anlage aus guten Gründen verwildern lassen, hier sollte möglichst niemand herkommen. „Die wollten, dass dieser Ort in Vergessenheit gerät. Das Belvedere tauchte nicht einmal auf den Stadtplänen auf. Und da waren wir denen natürlich ein Dorn im Auge.“

Seit bald 25 Jahren ist der Verein auch Betreiber des Belvedere und sorgt dafür, dass seine Besucher:innen diesen einzigartigen Bau besuchen und von ihm auf Stadt und Schlösserlandschaft hinabblicken können. Rotraut Kautz ist nach wie vor dabei, sie freut sich weiterhin über die Gemeinschaft, sie schätzt den Kontakt zu den Besucher:innen. Und sie erzählt immer noch gerne diese unwahrscheinliche Geschichte über ein paar Leute mit Schippen und Schaufeln und wie sie ein Schloss zurück auf die Landkarte brachten.

Der Beitrag ist zuerst erschienen im SPSG-Magazin SANS,SOUCI. 03.2025

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