Wilhelmine Enke, spätere Gräfin von Lichtenau
Als Jugendliebe des Königs Friedrich Wilhelms II. von Preußen ist sie in die Geschichte eingegangen: Wilhelmine Enke. Ihr Name ist bis heute mit amourösen Abenteuern, Korruption und skandalöser Verschwendung verbunden. Zur „preußischen Pompadour“ erhoben, wird ihr triumphaler Aufstieg zur Gräfin Lichtenau sowie ihr rascher gesellschaftlicher Niedergang nach dem Tod Friedrich Wilhelms II. immer noch als klischeehaftes Mätressenschicksal lebendig gehalten.
Diese stereotypen Vorurteile verstellen den Blick auf eine außergewöhnliche Frau, die im starren Gesellschaftsgefüge ihrer Zeit emanzipiert und selbstbewusst agiert. Wilhelmines Stilempfinden und ihr künstlerischer Einfluss auf die Innenraumgestaltung der Wohnungen Friedrich Wilhelms II. im Marmorpalais oder im Schloss Charlottenburg beeindrucken noch heute. Das Schloss auf der Pfaueninsel wäre ohne ihre Gestaltungsideen und ihr stilsicheres Gespür nicht zu einem Ort erlesener Raumkunst und edler Möblierung geworden. Mätresse versus Trendsetterin und Stilikone? Wilhelmine verbindet beides in ihrer Person. Ihr facettenreiches Leben gibt Einblick in eine sehr moderne, ungewöhnliche Frauenbiographie des späten 18. Jahrhunderts.
1762 lernte Wilhelmine als Heranwachsende den jungen, musikbegeisterten Prinzen kennen, der es sich zur Aufgabe machte, die Tochter eines Hofmusikers aus Dessau, in die Welt der Kunst, Literatur und der gehobenen Bildung einzuführen.
Dieser Zugang zu einer umfassenden, damals nur Adeligen zuteil werdenden Ausbildung, eröffnete Wilhelmine Freiräume und Perspektiven wie sie einer bürgerlichen Frau in dieser Zeit nicht zugestanden wurden. Friedrich Wilhelm sah in ihr eine Seelenverwandte, deren Bildung er nach seinen Vorstellungen förderte und formte. Er machte sie mit seinen Interessensgebieten sowie modischen Geschmacksvorlieben vertraut. Als Fünfzehnjährige reiste sie nach Paris. Den sechsmonatigen Aufenthalt finanzierte der Thronfolger aus seinen knappen Geldmitteln, die ihm von seinem Onkel, dem preußischen König Friedrich II., zugewiesen wurden. Die Reise sollte die Ausbildung der jungen Frau vervollkommnen und Kultureindrücke vermitteln, die ihr die preußischen Residenzstädte Berlin und Potsdam nicht bieten konnten. Paris, eine der elegantesten Metropolen Europas, und das kulturelle Zentrum höfischer Lebensart dürfte den Bildungshorizont Wilhelmines maßgeblich geprägt haben, auch wenn ihr als Bürgerliche der Zugang zu den Adelshäusern verschlossen blieb. Für Aufsehen sollte ihre Liaison mit dem Thronfolger sorgen, die bald nach ihrer Rückkehr aus Paris begann. Mit 15 Jahren hatte Wilhelmine nach preußischem Recht das heiratsfähige Alter erreicht. Das Liebesverhältnis des jungen Paares, das sich mit einem Ringtausch ewige Treue geschworen hatte, währte 13 Jahre. Friedrich Wilhelm war zu dieser Zeit bereits einmal verheiratet gewesen. Seine erste Ehe, die 1769 geschieden wurde, ebenso wie seine zweite Vermählung erfolgten auf Anweisung seines Onkels und gegen den Willen des Thronfolgers. Die Kinder aus diesen standesgemäßen Beziehungen sicherten die Thronnachfolge und damit den Fortbestand der preußischen Monarchie. Als zukünftiger König erfüllte Friedrich Wilhelm damit die in ihn gesetzten Erwartungen. Abseits des Hoflebens suchte er bei Wilhelmine eine von persönlicher Zuneigung geprägte Beziehung, die nicht frei von familiären Konflikten blieb. Das andauernde, nicht standesgemäße Verhältnis zu Wilhelmine belastete seine Beziehung zum preußischen Hof und wurde vor allem vom König mit Misstrauen verfolgt. Obwohl Wilhelmine nicht wie am französischen Hof üblich den Titel einer offiziellen Mätresse erhielt, wurde sie dennoch von Friedrich II. als solche behandelt und schließlich als Geliebte des Thronnachfolgers toleriert. Dies drückt das 1776 in Auftrag gegebene Porträt aus, das Wilhelmine von der angesehenen Malerin Anna Dorothea Therbusch anfertigen ließ (Abb. 1). Es zeigt ein intimes Bildnis, das nie für die Öffentlichkeit bestimmt war. Wie das passende Gegenstück mutet das drei Jahre zuvor von derselben Künstlerin geschaffene Porträt des Prinzen an (Abb. 2).
Die Kinder aus der Verbindung mit Wilhelmine erkannte Friedrich Wilhelm als seine eigenen an, erhob sie in den Adelsstand und kümmerte sich als fürsorglicher Vater um sie. Sein Verhältnis zu seinem legitimen Sohn, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (III.) hingegen war distanziert und nicht frei von Spannungen.
Dies mag die ausgeprägte Missgunst erklären, die Friedrich Wilhelm (III.) schon als Kronprinz gegenüber Wilhelmine empfand. Ihr Sohn Alexander war das Lieblingskind seines Vaters. Der frühe Tod des Jungen bedeutete für Friedrich Wilhelm II. einen furchtbaren Verlust, der sein weiteres Leben sowie das von Wilhelmine überschattete. Obgleich zu dieser Zeit bereits als Paar getrennt, führte die Trauer um den gemeinsamen Sohn die beiden Eltern enger zusammen: Das Liebesverhältnis wandelte sich zu einer von Vertrauen und Fürsorge geprägten lebenslangen Verbundenheit.
Schon früh teilten Friedrich Wilhelm und Wilhelmine ihre Begeisterung für die Künste. Schien der Prinz zunächst als Erzieher und Ratgeber den Geschmack Wilhelmines zu prägen, entwickelte sie bald eigene Ambitionen. Sie schuf sich ein Tätigkeitsfeld, in dem sie modernen Kunstgeschmack mit einem ausgeprägten Sinn für handwerkliche Qualität verband. Das modische Vorbild für ästhetische Anregungen und innovatives Design bot vor allem England. Englische Mode, Kupferstiche und Kunsttrends wurden von den beiden aufmerksam verfolgt. So war es Wilhelmine, die sich als erste Frau in Preußen ein Teeservice von Wedgwood bestellte und damit den Prinzen auf die damals hochmodernen Erzeugnisse der englischen Keramikmanufaktur aufmerksam machte. Wenige Jahre später ließ Friedrich Wilhelm als König die Kamine des neuerbauten Marmorpalais mit den teuersten Produkten der Wegdwood-Manufaktur ausstatten.
Die von antiken Vorbildern inspirierten Vasensätze Wegdwoods zählen heute zu den Besonderheiten dieses eleganten königlichen Sommersitzes. Dabei wird auch Wilhelmines familiäre Verbindung nach Dessau eine Rolle gespielt haben. Das kleine Fürstentum hatte den Ruf, höchst fortschrittliche Ideen im Bereich der Architektur, der Gartengestaltung und der Innenraumkunst im damals modernen Stil des Frühklassizismus umzusetzen. Wegdwood-Keramiken, Mahagonimöbel und italienische Marmorkamine setzten dort modische Trends, die Friedrich Wilhelm II. zum Teil in seinen neugestalteten königlichen Wohnungen in Berlin und Potsdam übernahm. Eine Schlüsselrolle in der Einrichtung dieser Wohnungen, ihrer Ausstattung mit Tapeten, Möbeln und Kunstobjekten kam Wilhelmine zu, die allmählich in die Rolle einer künstlerischen Ratgeberin und stilsicheren Auftraggeberin hineinwuchs. Als wenige Jahre nach der Fertigstellung des Marmorpalais Feuchtigkeitsschäden eine Teilrenovierung von Innenräumen notwendig machte, übertrug der König vertrauensvoll Wilhelmine diese Aufgabe. Sie ließ die Schreibkammer im Erdgeschoss mit einer gelb-gestreiften Seidenbespannung ausstatten, deren Wandflächen und Fensterschals gestickte Rosenborten farbig einfassten.
Das Vorbild für diese Gestaltung bildeten modische Papiertapeten, deren einfarbige Wandflächen durch bunte Zierborten gerahmt wurden. Diesen neuen Trend griff Wilhelmine auf, wählte aber statt Papiertapeten kostbare Seidenstoffe, um die königlichen Gemächer modern und standesgemäß auszustatten. Völlig anders gestaltete sie hingegen die Räume im Schloss auf der Pfaueninsel. Hier dominieren farbkräftige Papiertapeten und bedruckte indische Baumwollstoffe den Raumeindruck und betonen die Funktion des kleinen Bauwerks als ländlichen Rückzugsort.
Dennoch wirken die Innenräume nicht rustikal, sondern sie strahlen eine stilsichere Eleganz aus: Raffiniert und edel verarbeitete Hölzer sowie ein kleiner Festsaal geschmückt mit Kronleuchtern und einem Deckengemälde verweisen auf die Nutzung durch einen adeligen Hausherrn (Abb. 7). Das von Wilhelmine für den Saal ausgewählte Motiv des Deckengemäldes „Aurora leitet den Sonnenwagen Apolls“, eine Kopie des berühmten Deckenfreskos von Guido Reni in Rom, steht symbolisch für die weibliche Autorenschaft dieser Bauschöpfung und dokumentiert selbstbewusst die enge Verbindung Wilhelmines mit dem König.
Den Höhepunkt ihres Lebens dürfte die langersehnte Reise nach Italien gebildet haben, die Wilhelmine 1795 antrat. Als klassische Bildungsreisende besuchte sie die antiken Stätten in Rom und Neapel, aber auch Manufakturen und Bildhauerwerkstätten. Sie studierte bedeutende Kunstsammlungen wie die vatikanischen Museen und die Uffizien in Florenz. Bei einem längeren Aufenthalt in Rom trat sie in Kontakt mit der deutschen Künstlerszene und suchte das Atelier der international gefeierten Künstlerin Angelika Kauffmann auf, um sich als gebildete, weltgewandte Frau porträtieren zu lassen.
Die von Wilhelmine im Auftrag des Königs erworbenen Kunstgegenstände, Stoffe, Skulpturen und Gemälde waren für die Einrichtung seiner Wohnungen in Berlin und Potsdam bestimmt. Ein Teil dieser Neuwerbungen wurde später auf der Berliner Akademie-Ausstellung öffentlich gewürdigt. Kurz nach ihrer Rückkehr befasste Wilhelmine sich mit der Ausstattung der neu errichteten Seitenflügel des Marmorpalais. Der Ovale Saal im Südflügel wurde für die Präsentation von Marmorskulpturen bestimmt, die in Wandnischen Aufstellung finden sollten.
1797 mit dem Tod Friedrich Wilhelms II. kamen alle Planungen zum Erliegen. Als soziale Aufsteigerin ohne Rückhalt in der Hofgesellschaft wurde Wilhelmine, die kurz zuvor in den Adelsstand erhoben worden war, wegen Hochverrats angeklagt und in Festungshaft genommen. Erst später wurde ihre Unschuld festgestellt. Noch heute kann man Wilhelmines Spuren in der preußischen Innenraumkunst folgen. Die Winterkammern in Charlottenburg, das Schloss auf der Pfaueninsel und das Marmorpalais in Potsdam bieten dazu vielfältige Möglichkeiten.
Ab dem 23. Juli lädt das Potsdamer Marmorpalais dazu ein, Wilhelmine Enke näher kennenzulernen. An einer Medienstation wird ihr Leben im Kontext der gesellschaftlichen Stellung von Frauen im 18. Jahrhundert beleuchtet. Zwei Hörspielbeiträge stellen zudem die beiden Porträts von Therbusch und Kauffmann vor, die Wilhelmine als selbstbewusste Frau und Vertraute Friedrich Wilhelms II. zeigen. So entsteht ein vielschichtiges Bild einer außergewöhnlichen Persönlichkeit ihrer Zeit.
Eva Wollschläger ist bei der SPSG Kustodin des KPM-Archivs und zugleich Kustodin des Marmorpalais.
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