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Treppauf, treppab

25. November 2022 Von Carlo Paulus

Treppen und Treppenhäuser in den preußischen Schlössern

Ist Ihnen das auch schon einmal passiert? Sie schlängeln sich eine enge Wendeltreppe hinauf zum Kirchturm, steigen auf dickem roten Teppich im Theater in den ersten Rang oder schlendern während eines Stadtrundgangs eine breite Treppe hinunter zum Flussufer und urplötzlich denken Sie über diese Treppe nach. Dann hat diese ihr Ziel erreicht, denn häufig sind Treppen mehr als nur eine Verbindung von A nach B.

Auch in Schlössern sind Treppen(-häuser) meist nicht nur reine „Verkehrsräume“, die die Verbindung zwischen mehreren Geschossen herstellen, sondern oft Räume der Repräsentation und Prachtentfaltung. Bei unseren preußischen Schlössern denken viele wahrscheinlich als erstes an die berühmte Freitreppe am Weinberg, die mit ihren – ursprünglich – 120 Stufen hinauf zum Schloss Sanssouci führt. Dabei gibt es – bedingt durch die zeitliche und stilistische Bandbreite all unserer Bauwerke – noch eine Vielzahl weiterer spannender Treppen und Treppenhäuser. Wir stellen hier einige bekannte und unbekannte Architekturschätze vor.

Eine „grand escalier“ für die neue Residenz

Das Treppenhaus im Alten Schloss von Schloss Charlottenburg

Als die erste preußische Königin, Sophie Charlotte, 1705 überraschend starb, hatte ihr Lustschloss Lietzenburg bei weitem noch nicht die Ausmaße des heutigen Schlosses. Ihr Witwer, König Friedrich I., benannte die Anlage ihr zu Ehren in Charlottenburg um und beauftragte seine Architekten sogleich mit dem weiteren Ausbau, da er das Schloss von nun an jeden Sommer als offizielle Residenz nutzen wollte. Für das große Hofzeremoniell, das bei Empfängen von Gesandten auswärtiger Höfe vorgesehen war, sollte es eine „grand escalier“ nach französischem Vorbild bekommen. In deutschen Schlössern zu dieser Zeit ein absolutes Novum, entstand in Charlottenburg ein Treppenlauf ganz ohne Stützen, wodurch der Raum äußerst weitläufig wirkt. Die Stufen sind so breit, dass sie die Aufstellung eines militärischen Ehrenspaliers – also jeweils ein Wachmann pro Stufe – erlaubten. Vom König als „das schönste Ornament vom ganze Hause“ bezeichnet, bildete die Prunkstiege mit dem (im Krieg zerstörten) Deckengemälde „Apoll unter den Musen“ von Anthonie de Coxie und den vier großformatigen Erdteilallegorien von Augustin Terwesten den repräsentativen Auftakt zu den im Obergeschoss liegenden Sälen.
 

Prunkschloss ohne Prunktreppe

Die Treppenhäuser im Neuen Palais

Obgleich das Neue Palais prunkvolle Festsäle und kostbar ausgestattete Apartments beherbergt, gibt es – zum Erstaunen vieler Besucher:innen – kein prächtiges Haupttreppenhaus, wie in vielen vergleichbaren Barockschlössern seiner Zeit. Stattdessen wird der Mittelbau von zwei relativ schlichten, zweckmäßigen Stiegenhäusern, über die man in die Festsäle im Obergeschoss gelangt, flankiert. Die Wände werden lediglich durch Partien aus rotem Stuckmarmor gegliedert, sodass sich die Prachtentfaltung der folgenden Räume – oberes Vestibül und Marmorsaal – umso intensiver steigert. Neben den beiden Treppenhäusern im Mittelbau gibt es im Hauptbau des Schlosses zwei weitere große Treppen – die Theatertreppe zur Erschließung der Königswohnung und des Schlosstheaters, sowie eine spiegelbildliche Treppe an der Nordseite – auch diese mehr funktional, als prunkvoll. Dazu kommen eine Vielzahl von kleineren Treppenhäusern und Dienstbotentreppen, die den Gästen damals und heute allerdings verborgen bleiben. Friedrich der Große pflegte eine Antipathie gegen große, repräsentative Treppenhäuser, die er meist als zu kalt und zugig empfand. Auch für das Neue Palais war ursprünglich eine viel größere Treppenanlage im Mittelbau vorgesehen, wie man auf Entwurfsplänen noch erkennen kann. Vermutlich war es der König selbst, der wie bei all seinen Bauprojekten aktiv in die Planungen eingriff und das große Treppenhaus zugunsten zweier kleinerer aus den Plänen strich.
 

Pompejanische Wandmalerei und preußische Ingenieurskunst

Die Wendeltreppe im Westturm des Belvedere Pfingstberg

Belvedere – italienisch für schöne Aussicht – heißt die mächtige Doppelturmanlage mit Kolonnaden auf dem Pfingstberg hoch über Potsdam, errichtet ab 1847 unter Friedrich Wilhelm IV. im Stil einer mediterranen Renaissance-Villa. Um die namensgebende Aussicht genießen zu können, überwindet man als Besucher:in zahlreiche Treppen im Außenraum. Auf dem Niveau der Nordarkaden befinden sich schließlich die einzigen nutzbaren (Innen-)Räume der Anlage – im Ostturm das Maurische und im Westturm das Römische Kabinett. Wandmalereien im Stile der Fresken aus den Ausgrabungsstätten von Pompeji und Herculaneum wecken Sehnsucht nach dem Süden und der Antike – wäre dort nicht in einer Ecke eine gusseiserne Wendeltreppe, die die Betrachter:innen des 19. Jahrhunderts sogleich wieder in die Gegenwart katapultiert hat. Die fein gearbeitete Treppe mit ihren filigranen Ornamenten und durchbrochenen Trittflächen ist ein wahres Schmuckstück der preußischen Gusseisenkunst und zudem stolzer Ausdruck der industriellen Fähigkeiten seiner Zeit. Durch den starken Verfall des Belvederes in der Nachkriegszeit nur noch in Fragmenten erhalten, wurde sie im Zuge der Restaurierungsmaßnahmen rekonstruiert, sodass Besucher:innen heute wieder auf die darüber liegenden Terrassen gelangen und die wunderschöne Aussicht über die Potsdamer Kulturlandschaft genießen können.
 

Vornehm und kühl

Das Treppenhaus im Marmorpalais

Das Marmorpalais betrat man ursprünglich durch den Eingang in der Mittelachse des kubischen Gebäudes und gelangte von dort direkt in das Vestibül mit dem dahinterliegenden Treppenhaus. Getrennt werden beide Bereiche durch vier Säulen, die, wie auch der Fußboden, die Wandsockel und die Postamente aus schlesischem Marmor gefertigt wurden und somit das namensgebende Material der Fassade ins Innere holen. Der Raum wird durch eine kreisrunde Öffnung in der Mitte der gewölbten Decke beleuchtet, die gewissermaßen der Boden des darüber liegenden Belvederes ist. Von dort oben konnten die Gäste somit nicht nur die Aussicht über den Neuen Garten und den Heiligen See genießen, sondern auch gleichzeitig nach unten ins Gebäude blicken.
Das Treppenhaus verbirgt noch ein besonderes Detail: Rechts neben dem Durchgang zum Grottensaal befindet sich eine kleine Tür. Die dahinterliegende Treppe führt in den Keller des Gebäudes, von dem man wiederum über einen unterirdischen Gang zur Schlossküche gelangte, die als eigenständiges Bauwerk in Form eines versunkenen Tempels am Seeufer errichtet wurde. Über den Gang konnte die Dienerschaft wetterunabhängig Speisen ins Schloss transportieren – heute wird er von den Schlossmitarbeiter:innen genutzt und ist daher leider nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.
 

Eichenlaub und fatale Leerstellen

Das Treppenhaus im Schloss Oranienburg

Besucher:innen des Schlosses Oranienburg nutzen täglich die große Treppenanlage im Mittelbau und schenken ihr angesichts der schlichten, fast nüchternen Gestaltung womöglich wenig Bedeutung. Für ein Barockschloss ist der Raum fast zu karg, einzig das schmiedeeiserne Treppengeländer trägt ein wenig zum repräsentativen Charakter bei. Die Gestaltung des Treppenhauses verweist jedoch auf ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Schlosses, das erst in den vergangenen Jahren ausführlich erforscht wurde. Zwischen 1935 und 1945 wurde das Schloss von verschiedenen Organisationen der Nationalsozialisten genutzt. 1935 bezog zunächst die „SS-Wachtruppe Oranienburg – Columbia“ (ab 1936: „V. SS-Totenkopfverband Brandenburg“) das Schloss. Der SS-Verband bewachte das Berliner Konzentrationslager Columbia am Tempelhofer Feld – aus Platzmangel vor Ort wurde die Truppe im 40 km entfernten Oranienburg untergebracht und ausgebildet. Zu diesem Zwecke wurde das Schloss kasernenartig ausgebaut, auch das Treppenhaus wurde in diesem Zusammenhang umgestaltet. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass es sich bei den Ornamenten des Treppengeländers um Eichenlaub handelt, in den runden Aussparungen war ursprünglich das Symbol der SS (zwei Sig-Runen) angebracht. 1937 zog der Verband in Unterkünfte des neu errichteten Konzentrationslagers Sachsenhausen in der Nähe Oranienburgs. Ab 1938 wurde das Schloss erneut umgebaut und auf der Rückseite um einen Erweiterungsbau ergänzt, um für die künftige Nutzung als Kolonial-Polizeischule zu dienen, die schließlich 1941 eröffnet wurde. Das hier auszubildende Personal sollte auf die Verwaltung künftiger deutscher Kolonien vorbereitet werden.

Mehr Informationen zur Geschichte des Schlosses Oranienburg im Nationalsozialismus
 

Hinab zum Festsaal

Das Treppenhaus der Neuen Kammern von Sanssouci

Besucher:innen betreten die Neuen Kammern von Sanssouci – das Fest- und Gästehaus östlich des Schlosses, das zwischen 1771-75 durch Umbau einer Orangerie entstand – heute über eine Loggia an der östlichen Schmalseite, die erst 1860 unter König Friedrich Wilhelm IV. an das Gebäude angefügt wurde. Zur Zeit Friedrichs des Großen betraten die Gäste das Gebäude von der gegenüberliegenden Schmalseite: Da die Neuen Kammern unterhalb des Niveaus der obersten Weinbergterrasse am Schloss Sanssouci liegen, erfolgte der Zugang über ein Treppenhaus, das man über einen schmalen Weg von eben dieser Terrasse erreichen konnte. Der Zutritt zu den Neuen Kammern war ein echtes Überraschungserlebnis. Beim Zutritt durch eine schlichte Tür auf Höhe der Weinbergterrasse lässt sich das gesamte Gebäude zunächst nicht in Gänze erfassen. Hinter dieser Tür verbirgt sich eine Sandsteintreppe, die hinab auf das Niveau der Neuen Kammern führt. Ihr eleganter Schwung, das schmiedeeiserne Geländer und der Handlauf aus Leder kündigen bereits die Prachtentfaltung der kommenden Räume an. Erreicht man das Ende der Treppe, öffnet sich rechterhand die Tür und man erblickt mit einem Mal in die Enfilade der Festsäle, die sich bis in die Mitte des Gebäudes erstrecken. Als Auftakt und Vestibül fungiert die Blaue Galerie mit ihrer kühlen Eleganz. Es folgen Buffetsaal, Ovidgalerie und schließlich der Jaspissaal im Mittelrisalit.

Das Treppenhaus der Neuen Kammern ist nicht Teil des Rundgangs und daher für Besucher:innen leider nicht zugänglich.
 

Schnecke und Stern

Der Treppenturm von Schloss Pfaueninsel

Manchmal lohnt der Blick nach oben: Bevor man im Schloss auf der Pfaueninsel die Wendeltreppe im südlichen Turm ins Obergeschoss nimmt, sollte man einmal kurz den Kopf in den Nacken legen und sich die Treppenläufe, die sich wie eine Schnecke nach oben winden, von unten anschauen. Eine Malerei in Form von Rauten und Dreiecken, die illusorisch Stuckelemente nachahmt, bildet aus dieser Perspektive ein sternenartiges Ornament, das sich scheinbar ins Unendliche erstreckt. Solche Details sind typisch für den frühen Klassizismus, der mit dem Marmorpalais und dem Interieur des Pfaueninselschlosses Einzug in Preußen hielt und noch wesentlich verspielter als der Klassizismus eines Schinkels oder Persius der folgenden Jahrzehnte war.

Das Schloss auf der Pfaueninsel wird derzeit im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms saniert. Nach der Sanierung ist es – inklusive Treppenhaus – wieder für Besucher:innen zugänglich.
 

Englischer Tudorstil trifft Danziger Barock

Die Treppe in der großen Halle von Schloss Cecilienhof

Das Schloss Cecilienhof wurde zwischen 1913 und 1917 als letzter großer Schlossbau der Hohenzollern im Neuen Garten errichtet. Vermutlich aufgrund der Vorliebe des Kronprinzen für die englische Lebensweise entwarf der Architekt Paul Schultze-Naumburg ein Landhaus im englischen Tudorstil. Auch wenn das Schloss auf die Bedürfnisse und Abläufe des Kronprinzenpaares mit ihrem Hofstaat konzipiert war, folgen einzelne Räume eher dem Vorbild – bürgerlicher – Landhäuser des beginnenden 20. Jahrhunderts, wie beispielsweise die 26 Meter lange und 12 Meter hohe, mit Eichenholz vertäfelte Wohnhalle als zentralen – und größten – Raum des Gebäudes (später als Halle für die Potsdamer Konferenz genutzt). Von hier aus lassen sich alle wichtigen Gesellschaftsräume im Erdgeschoss erreichen. Blickfang ist jedoch die mehrläufige Treppe aus geschnitzter Eiche, die zu den Privaträumen des Kronprinzenpaares im Obergeschoss führt. Im Unterschied zum englischen Tudorstil griff man hier auf Formen des Danziger Barocks zurück – war die Treppe nämlich ein Geschenk der Stadt Danzig an das Kronprinzenpaar. Neben ihrer eigentlichen Funktion vermag diese Treppe das Hinauf- und besonders das Hinabschreiten der Benutzenden eindrucksvoll zu inszenieren – Besucher:innen, die eine Besichtigung der Kronprinzenwohnung buchen, können diesem Erlebnis bis heute nachspüren.
 

 

 

 

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