Nach drei Jahrzehnten wird die Obere Galerie im Potsdamer Neuen Palais erstmals wieder für das Publikum geöffnet. Dort sind fünf von sechs der wertvollsten Gemälde der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) zu sehen – eines wird derzeit noch restauriert. Die zur originalen Ausstattung des Raumes gehörenden Bilder wurden von Friedrich dem Großen (1712-1786) erworben und 1768 fest in die Wandvertäfelung eingebaut. Daher wurden sie in den vergangenen 256 Jahren nur in großen Ausnahmefällen entnommen und sehr lange nicht restauriert. Erst im frühen 20. Jahrhundert wurde entdeckt, dass sich unter den vom preußischen König angekauften Gemälden zwei der römischen Malerin Artemisia Gentileschi (1593-1654) befinden. Der König hatte sie erworben, ohne zu wissen, dass sie von einer Frau stammten. Auch die barocken Gemälde der bedeutenden Künstler Guido Reni (1575-1642) und Luca Giordano (1634-1705) aus dem 17. Jahrhundert sind bisher sowohl der Forschung als auch der Öffentlichkeit nahezu unbekannt geblieben. Nach der nun vollständigen Restaurierung der Gemälde und ihrer Rahmen in den vergangenen sechs Jahren, die auch Anlass für vertiefende Forschungen und Publikationen bot, ist die Galerie fortan wieder öffentlich zugänglich. Voraussetzung für die Öffnung der Galerie war ein partieller Fußbodenschutz, denn das wertvolle historische Parkett aus der Erbauungszeit des Hauses darf weiterhin nicht betreten werden.
Anlässlich der Eröffnung der Oberen Galerie des Neuen Palais sagte Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien: „Nach über dreißig Jahren erblickt dieses Schatzhaus italienischer Meisterwerke endlich wieder das Licht der Öffentlichkeit. Das ist wirklich eine kleine Sensation. Dass es der Stiftung gelungen ist, für die Restaurierung der Gemälde erhebliche Drittmittel einzuwerben, ist ein großer Erfolg und beispielhaft dafür, wie sich öffentliche Investitionen und privates Kulturengagement fruchtbar ergänzen. Und nicht nur von innen soll das Neue Palais künftig wieder strahlen, sondern auch von außen. Möglich wird diese Teil-Instandsetzung durch das Sonderinvestitionsprogramm 2, das der Bund gemeinsam mit den Ländern Berlin und Brandenburg zur Rettung der preußischen Schlösser und Gärten aufgelegt hat. Insgesamt umfasst dieses Abkommen 400 Millionen Euro und ich bin sehr froh, dass mein Haus bis 2030 hierfür 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Diese Investitionen in Kulturbauten sind Investitionen in den Erhalt unseres kulturellen Erbes und damit auch in den Standort Deutschland.“
Die Restaurierungen wurden dankenswerter Weise zur Hälfte mit Drittmitteln ermöglicht (Museum Barberini, Rudolf-August-Oetker-Stiftung und Annemarie Hilgemann Stiftung). So konnte die ursprüngliche Qualität der Gemälde wieder sichtbar gemacht werden, die zuvor unter vergilbten Firnissen und großflächigen Übermalungen verborgen war. Im Zuge der umfassenden Restaurierungen wurden auch eingehende kunsttechnologische Untersuchungen durchgeführt. Sie ermöglichten wertvolle Einblicke in den Bildaufbau und die verwendeten Materialien und lieferten neue Erkenntnisse über die individuellen Malpraktiken der Künstlerin und der Künstler.
Überraschende Entdeckungen
In der Oberen Galerie werden Entdeckungen präsentiert, die während der Restaurierungsmaßnahmen gemacht wurden. Besonders die Untersuchungen der Werke von Artemisia Gentileschi ergänzten und vervollständigten das bisherige Wissen über die Arbeitsweise dieser bedeutenden Künstlerin. Dank der restauratorischen, naturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschungen konnten die Gemälde neu in ihr Werk eingeordnet und datiert werden.
Das Interesse für das Oeuvre Artemisia Gentileschis ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Obwohl sie eine der ersten europaweit bekannten Malerinnen war, wurden viele ihrer Gemälde lange Zeit unter männlichen Namen geführt. Inzwischen konnten ihr zahlreiche Werke wieder eindeutig zugeordnet, untersucht und ein detaillierteres Bild ihres künstlerischen Schaffens gewonnen werden.
Artemisia wurde maßgeblich von ihrem Vater, dem Maler Orazio Gentileschi (1563-1639), sowie vom Schaffen Michelangelo Merisi da Caravaggios (1571-1610) geprägt. Auf dieser Grundlage entwickelte sie eine ganz eigene Ausdrucksform. Ihre Laufbahn wurde jedoch auch von persönlichen Umständen beeinflusst. Mit 17 Jahren wird sie Opfer eines Verbrechens: Ein Lehrer vergewaltigte sie. Nach einem demütigenden Prozess wurde sie verheiratet und zog von Rom nach Florenz, wo sie ihr Talent entfalten konnte. Später lebte sie in Rom, Venedig, London und Neapel. Für eine Frau ihrer Zeit außergewöhnlich, ernährte sie ihre Familie mit ihrer Kunst und arbeitete für Königinnen, Fürsten, Kirchenleute und Intellektuelle. Die Gemälde in der Oberen Galerie stammen ursprünglich aus der umfangreichen Sammlung der bedeutenden Adelsfamilie der Farnese. In Deutschland gibt es außer den zwei Gemälden in der Oberen Galerie nur noch eines von ihr in Pommersfelden.
Ihr Zeitgenosse Guido Reni aus Bologna war einer der einflussreichsten und begehrtesten Künstler seiner Zeit und des 18. Jahrhunderts. Er arbeitete – immer wieder auch in Rom – mit den Carraccis zusammen, entwickelte aber bald einen eigenen idealisierenden, eleganten Stil mit klarer Farbgebung. Friedrich der Große erwarb eine Reihe von Bilder von ihm und seiner Werkstatt.
Der Neapolitaner Luca Giordano zeichnete sich durch seinen sehr sicheren und schnellen Malstil aus, der ihm zu außerordentlicher Produktivität verhalf und ihm den Spitznamen „Luca Fa Presto“ einbrachte. Neben Werken in Neapel hinterließ er auch im Norden Italiens in Florenz und in Spanien eine Vielzahl von häufig großformatigen Fresken und Ölgemälden. Auch von Luca Giordano besaß der preußische König mehrere Werke.
Der andere Blick
Der Weg durch das Neue Palais in die Obere Galerie führt an zahlreichen Darstellungen vorbei, in denen Maler und Bildhauer den weiblichen Körper in den Mittelpunkt stellen. An sieben Stationen lenken Fragen die Aufmerksamkeit auf den speziellen Blick, den die Künstler ihren Bildern zugrunde gelegt haben. Auch die Gemälde der Oberen Galerie werden unter diesem Blick-Aspekt betrachtet und ergänzen den Blick der forschenden Augen der Restauratorinnen und des Naturwissenschaftlers.
Vertiefende Informationen zum Saal und den Gemälden bietet eine neue Tour in der SPSG.-App „SANSSOUCI“. Mit dem eigenen Smartphone vor Ort können hier Hintergründe zu den prächtig ausgestatteten Räumen des Neuen Palais abgerufen werden. Die App kann kostenfrei im Apple App Store oder Google Play Store heruntergeladen werden. Weitere Informationen zum Rundgang und zur App-Tour unter spsg.de/derandereblick
Informationen zu den Gemälden der Oberen Galerie:
- Artemisia Gentileschi, Bathseba im Bade, 1635-45, Öl auf Leinwand, 261 × 223 cm, Inv. Nr. GK I 5392
- Luca Giordano, Der Raub der Sabinerinnen, um 1675, Öl auf Leinwand, 365 × 260 cm, Inv. Nr. GK I 5391
- Luca Giordano, Urteil des Paris, um 1675, Öl auf Leinwand, 365 × 259 cm, Inv. Nr. GK I 5390
- Artemisia Gentileschi, Lukretia und Tarquinius, 1627-1630, Öl auf Leinwand, 262 × 222 cm, GK I 5389
- Guido Reni, Selbstmord der Lukretia, 1625/1626, Öl auf Leinwand, 215 × 151cm, Inv. Nr. GK I 5388
Literaturhinweise:
Bartoll, Jens (2019): Scientific analysis of the pigments on two paintings by Artemisia Gentileschi in the collection of Frederick II King of Prussia. In: Zeitschrift für Kunsttechnologie und Konservierung : ZZK 33 (2), S. 253–264
Jackisch, Bärbel; Beck, Nina; Thierse, Johanna (2022): Two Paintings by Artemisia Gentileschi from the Collection of King Frederick II of Prussia. A Study of the Painting Technique and Restoration. Hg. v. Jürgen Luh. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; Max Weber Stiftung (Kulturgeschichte Preußens - Vorträge und Forschungen, #7). Online verfügbar unter https://perspectivia.net/receive/pnet_mods_00005339.
Windt, Franziska (2019): Galerie der Unvernunft. Die italienischen Barockgemälde im Potsdamer Neuen Palais. In: Maurizia Cicconi, Michele Di Monte, Inés Richter-Musso, Roberto Contini und Sandra Pisot: Wege des Barock. Die Nationalgalerien Barberini Corsini in Rom. Hg. v. Ortrud Westheider und Michael Philipp. München, London, New York (Publikationen des Museums Barberini), S. 14–19.
Windt, Franziska (2025): Two paintings by Artemisia Gentileschi in the Potsdam collection of Frederick the Great, in: The Burlington Magazine, 167, S. 114-125.
Die Rückkehr der Bilder
Schätze des Barock in der Oberen Galerie des Neuen Palais
16. Juli 2025 – auf weiteres
Neues Palais, Am Neuen Palais, 14469 Potsdam
Öffnungszeiten: April bis Oktober: Mittwoch bis Montag 10–17.30 Uhr, November bis März: Mittwoch bis Montag 10–16.30; letzter Einlass jeweils 30 Minuten vor Schließzeit
Eintritt Grand Tour inkl. Obere Galerie: 14 Euro / ermäßigt 10 Euro