Attikafiguren wieder in luftiger Höhe

Die 20 Plastiken sind auf die sanierten Balustraden des Schlosses Charlottenburg zurückgekehrt

"Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) kann die Sanierung der Balustraden auf dem Dach des Schlosses Charlottenburg abschließen. Die aufgrund von Undichtigkeiten und mangels Standsicherheit notwendig gewordenen Arbeiten kosteten insgesamt 2,65 Millionen Euro und wurden vom Bund, dem Beauftragten für Kultur und Medien sowie den Ländern Berlin und Brandenburg gefördert. Sichtbares Zeichen für die erfolgreiche Beendigung der Arbeiten ist die spektakuläre Rückkehr der 20 modernen Plastiken aus Aluminiumguss, die vor über zehn Jahren aus Sicherheitsgründen geborgen werden mussten.

Schloss Charlottenburg wurde ab 1695 zunächst als kleine Sommerresidenz, ab 1701 nach dem Vorbild von Versailles als weiträumige Dreiflügelanlage errichtet. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg begann bereits in den Nachkriegsjahren der Wiederaufbau. Schlösserdirekor Martin Sperlich setzte die Planungen von Margarete Kühn fort und beschloss ab 1970 die Neuschöpfung und Aufstellung von figürlichem Schmuck auf der Attika der Gartenseite. Darstellungen des Schlosses vom Beginn des 18. Jahrhunderts ließen vermuten, dass die Attikafiguren ursprünglich Weise vorgesehen waren. Das Schloss blieb nach dem Tod des Bauherrn, des Königs Friedrich I. von Preußen, unvollendet, so dass die Aufstellung der Figuren möglicherweise unterblieb. Eine in der Grafischen Sammlung der SPSG erhaltene Gouache von 1790 zeigt Figuren am Boden vor der Schlossfassade und bestätigt diese Annahme. Bisher sind keine erhaltenen Werke nachgewiesen.

Die modernen Neuschöpfungen sollten die lange Nordfassade des Schlosses leicht und lebendig nach oben ausklingen lassen. Themen der antiken Mythologie bildeten die Orientierung für die Bildhauer. Beauftragt wurden Künstler, die zum Teil schon beim Wiederaufbau des Schlosses beteiligt waren. Während sie sich dabei in den Dienst der künstlerischen Handschriften des 18. Jahrhunderts gestellt hatten, erhielten sie hier die Möglichkeit, ihre eigene bildhauerische Handschrift einzusetzen. Durch die konzentrierte Aufstellung von 20 Werken namhafter Bildhauer des damaligen West-Berlin wurde ein besonderes Ensemble der Bildhauerkunst der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts geschaffen. Die 60 cm hohen Modelle entstanden 1971/72 und wurden von den Berliner Gießereien Ernst Kraas und Hermann Noack in einer Größe von 220 cm in Aluminium gegossen und weiß gefasst. Die Aufstellung der Statuen erfolgte von Ende 1977 bis September 1978. Eine erste umfassende Würdigung wurde von Hans-Joachim Arndt in der Zeitschrift Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1980 vorgenommen.

Die Plastiken und die Künstler

Das ikonografische Programm umfasst nach den Forschungen von Katharina Steutner, Berlin, auf den beiden östlichen Risaliten die sieben freien Künste, in der Mitte vier Allegorien der Künste und Wissenschaft, auf den westlichen Risaliten die Musen, alles wird eingerahmt durch den Kunstgönner der Antike, Maecenas, im Osten und Herkules, den guten Helden, im Westen.

Günter Anlauf (1924–2000) studierte bei Heinrich Drake an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Er war von 1956 bis 1983 mit Restaurierungsarbeiten am Schloss Charlottenburg beauftragt. In seinen Arbeiten setzt er barocke Formen in eine abstrahierende und formalisierte Bildhauersprache ironisch um. Seine Themen sind der Kunstmäzen Maecenas sowie die Allegorien für Geometrie, Arithmetik und Grammatik.

Hans Joachim Ihle (1919–1997) studierte bei Wilhelm Gerstel und Richard Scheibe. Am Schloss Charlottenburg war er über Jahre an der Rekonstruktion der Goldenen Galerie im Knobelsdorff-Flügel beteiligt. Für die Attikafiguren nahm er den statuarisch-klaren Stil seiner Lehrer wieder auf und fügte ihnen die für die Fernwirkung erforderliche ausladende Gestik für die Allegorien von Rhetorik, Dialektik, Musik und Astronomie hinzu.

Harald Haacke (1924–2003) war Meisterschüler von Richard Scheibe in Berlin. Für die Attikaplastiken Pomona (Gartenkunst), Apollo (Hüter der Musen), Minerva (Wissenschaft) und Perspektive (Baukunst) orientiert sich Haake sowohl im Vokabular der Attribute als auch in der Widergabe der Körper als einziger enger an den klassisch geprägten Vorbildern des Barock. Die Sprache verbindet die Attika des Mittelbaus mit der Kuppelfigur der Fortuna von Richard Scheibe, an deren Ausführung Haake beteiligt war. Die Plastiken tragen so dem zentralen Aufstellungsort am weit vorgewölbten Mittelbau Rechnung.

Joachim Dunkel (1925–2002) war Schüler von Eva Schwimmer, Bernhard Heiliger und Gustav Seitz und als Dozent an der Hochschule der Künste Berlin tätig. Seine Figuren, die Musen Klio, Melpomene, Polyhymnia und Kalliope sind durch genauere Wahl der Attríbute gut zu erkennen. Ihre temperamentvolle Gestik sowie die raumgreifenden Gewandfragmente erzeugen in Verbindung mit der rauen Oberfläche eine sehr starke Fernwirkung.

Karl Bobek (1925–1992) war Meisterschüler von René Sintenis in Berlin und später Dozent an der Kunstakademie in Düsseldorf und der Berliner Akademie der Künste. Die Musen Thalia, Terpsichore, Erato und die Statue des Herkules Musarum zeichnen sich durch eine stark zerklüftete Oberfläche aus, die sie als Plastik aus der Nähe besonders expressiv erscheinen lässt.

Die Plastiken von Osten nach Westen:

(Günter Anlauf)

Kunstmäzen Maecenas

Allegorie der Geometrie

Allegorie der Grammatik

(Hans Joachim Ihle)

Allegorie der Rhetorik

Allegorie der Dialektik

Allegorie der Musik

Allegorie der Astronomie

(Harald Haacke)

Pomona (Gartenkunst)

Apollo (Hüter der Musen)

Minerva (Göttin der Wissenschaft)

Perspektive (Baukunst)

(Joachim Dunkel)

Muse der Geschichtsschreibung Klio

Muse der Tragödie Melpomene

Muse der Hymnendichtung Polyhymnia

Muse des Heldengedichtes Kalliope

(Karl Bobek)

Muse der Lustspieldichtung Thalia

Muse des Tanzes Terpsichore

Muse des Liebesliedes Erato

Statue des Herkules Musarum

Sanierung und Restaurierung der Balustraden und der Plastiken

1999 machten gravierende Bauwerksschädigungen an den Balustraden die komplette Sanierung erforderlich, die mit der Terrassendecke, der Fassade und der Balustradenkonstruktion im Bereich der Gartenseite über dem Spiegelsaal begann. Die Balustraden einschließlich des Sockelprofils wurden in allen Teilen in wasserundurchlässigem Betonwerkstein vollständig neu hergestellt. Es folgten die Arbeiten im Bereich des Ehrenhofes, an den Fassadenbereichen der Gartenseite und schließlich die Sanierung der westlichen Fassadenbereiche der Gartenseite bis zum Übergang zum Alten Schloss einschließlich des Daches der Schlosskapelle. Neben der Balustradensanierung stand die Dekontamination der Dachstühle und Dachtragwerke von Holzschutzmitteln im Vordergrund.

Die Aluminiumplastiken wurden 1996 auf Grund großer Schäden im Balustradenbereich abgenommen. Instabilität und Lockerzonen im Fugenbereich resultierten u.a. daraus, dass durch die Leichtigkeit der Plastiken Windkräfte in hohem Maße auf die Balustrade übertragen werden konnten. Die Plastiken selbst hatten Verluste an der Farbfassung und teilweise aufgesprengte Gussnähte. Neben der Restaurierung der Plastiken und deren Neuanstrich verbessert eine veränderte Montagetechnik die Stabilität der Balustrade. Dabei leitet ein System aus Grundplatten und 1,50 m langen Edelstahlstangen die Kräfte über die Balustrade hinaus in den Bau ab.

Restaurierung und Neuanstrich wurden durch Herrn Prange (Potsdam) und die Mitarbeiter der Schlosserei (SPSG) unter der fachlichen Betreuung der Metallrestauratoren (SPSG) ausgeführt. Der Aufbau erfolgt mittels Kran (Firma Laukant) und Hebebühne (Firma Zugangstechnik Lehmann) durch die Mitarbeiter des Schirrhofes (SPSG) und der Skulpturenrestaurierung (SPSG)."